3.
So war also auch Gordius: Er floh das Getümmel der Stadt, den Schwarm des Marktes, den Stolz der Ämter, die Gerichtshöfe, die falschen Ankläger, die Verkäufer, Käufer, Meineidigen, Lügner, die Schmähreden, Witzeleien und was sonst noch Großstädte gleichsam im Schlepptau nach sich ziehen. Er reinigte seine Ohren, reinigte seine Augen und reinigte vor allem sein Herz, um Gott schauen zu können und selig zu werden. Dann sah er ihn auch wirklich in Offenbarungen und wurde in die Geheimnisse eingeweiht — nicht von Menschen, noch durch Menschen, sondern vom großen Lehrer, dem Geiste der Wahrheit. Von hier aus kam er zur Einsicht, wie unnütz das Leben, wie eitel, wie flüchtiger als jeder Traum und Schatten, und mächtiger denn je regte sich in ihm das Verlangen nach der himmlischen Berufung. Nachdem er sich dann wie ein Kämpfer durch Fasten, Wachen, Beten, unablässige, stete Betrachtung der Aussprüche des Geistes hinlänglich geübt und zum Kampfe gesalbt hatte, wartete er jenen Tag ab, an dem alles Volk der Stadt zum Feste des Kriegsgottes (Mars) im Theater sich einfand, um ein Pferderennen anzusehen.
Wie nun das ganze Volk eben versammelt war, kein Jude, kein Heide fehlte, unter ihnen selbst viele Christen, die unvorsichtig wandelten, im Rate der Eitelkeit saßen, anstatt die Versammlungen der Übeltäter zu meiden, und die Schnelligkeit der Pferde und die Gewandtheit der Wagenlenker mitansahen, wo selbst die Herren ihren Sklaven freigegeben hatten, die Kinder aus der Schule zum Schauspiel gelaufen kamen, und selbst die gewöhnlichsten Weiber aus der untersten Volksschicht zugegen waren, wie also die Rennbahn bereits voll war und alle gespannt auf den Wettlauf der Pferde harrten — da S. 425 stieg jener edle, hochherzige und hochgesinnte Mann von den Bergen herab und herein in den Schauplatz, ohne sich zu fürchten vor dem Volke, ohne zu bedenken, wieviel feindlichen Händen er sich überliefere. Vielmehr ging er furchtlosen Herzens und fröhlichen Sinnes an der langen Mauer und dichten Allee der Rennbahnlagerer vorüber und stellte sich in die Mitte — eine Bestätigung des Schriftwortes: „Der Gerechte ist beherzt wie ein Löwe1.“ Und er war so unerschrockenen Mutes, daß er von einer exponierten Stelle des Theaters aus mit unerschütterlichem Freimute jene Worte ausrief, deren sich heute noch einige Ohrenzeugen erinnern2, jene Worte: „Es fanden mich die, die mich nicht suchten; ich erschien vor denen, die nicht nach mir fragten3.“ Damit gab er nämlich zu verstehen, daß er nicht gezwungen den Gefahren gegenüberstehe, sondern sich freiwillig zum Kampfe gestellt habe, eingedenk des Herrn, der, unerkannt im Dunkel der Nacht, den Juden sich selbst zu erkennen gab4.
