7.
S. 222 Doch was soll man die Kleinigkeiten nennen? Unsertwegen wandelte Gott unter Menschen. Des verderbten Fleisches wegen ist „der Logos Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt1.“ Mit den Undankbaren zusammen wohnt der Wohltäter. Zu denen, die im Schatten sitzen, kommt „die Sonne der Gerechtigkeit2.“ Ans Kreuz kommt der Nichtleidensfähige; in den Tod geht das Leben, in die Unterwelt das Licht. Die Auferstehung folgt — wegen der Gefallenen. Dazu der Geist der Kindschaft, die Austeilungen der Gnadengaben, die Verheißungen der Kronen und alles andere, was man nicht einmal leicht aufzählen kann, und worauf der Ausspruch des Propheten paßt: „Womit soll ich dem Herrn vergelten für alles, was er mir vergolten hat3?“ Ja, es heißt hier nicht, der großmütige Geber habe gegeben, sondern „vergolten“, wie wenn er nicht den Anfang mit der Gabe machte, sondern nur denen vergälte, die (mit dem Guten) begonnen. Der Dank für erhaltene Gaben wird als Wohltat angerechnet. Er, der dir das Vermögen gab, bittet dich um Almosen durch die Hand der Armen, und obschon er nur das Seinige empfängt, erstattet er dir doch vollkommenen Dank, als hättest du Eigenes gegeben. — „Womit sollen wir dem Herrn vergelten für alles, was er uns vergolten hat?“ Ich komme vom Worte des Propheten nicht weg, der so recht sich verlegen zeigt, seine Armut erkennt und kein entsprechendes Gegengeschenk für den Herrn hat. Er verspricht uns ja zu den so großen und herrlichen Wohltaten hin, als wären sie nicht schon überschwenglich, für die Zukunft noch weit größere: die Wonne des Paradieses, die Herrlichkeit im Himmel, engelgleiche Ehren, die Anschauung Gottes, das größte Gut für die, die deren gewürdigt werden, wonach jedes vernünftige Wesen sich sehnt, und das auch wir nach Reinigung von Begierden des Fleisches erlangen möchten.
Nun sagt man, wie sollen wir denn Anteilnahme und innige Liebe — sie ist doch das erste und höchste Gut; S. 223 die „Liebe ist ja des Gesetzes Erfüllung4“ — dem Nächsten erweisen? Sollen wir denn nicht mitweinen, wenn wir Menschen begegnen, die unter schweren Heimsuchungen leiden; sollen wir nicht mit ihnen Tränen vergießen, sondern für diese Prüfungen danken? Sein eigenes Leid mag man mit Danksagung tragen und so seine Geduld, seinen Starkmut zeigen; für fremde Drangsale aber Gott danken kann doch nur der, der über fremdes Unglück sich freut und den Betrübten noch ärgern will; gebietet uns doch auch der Apostel, mit den Weinenden zu weinen5. Was wollen wir darauf antworten? Muß ich euch nochmals an die Worte des Herrn erinnern, mit denen er befohlen hat, worüber man sich freuen und worüber man trauern soll? „Freuet euch“, sagt er, „und frohlockt; denn euer Lohn ist groß im Himmel6.“ Ferner: „Töchter Jerusalems, weinet nicht über mich, sondern weinet über eure Kinder7!“ Also befiehlt uns das göttliche Wort, mit den Gerechten zu frohlocken und uns zu freuen, mit den reumütig Weinenden aber zu trauern und zu klagen oder auch die Verstockten zu beklagen, weil sie nicht einmal wissen, wie sie zugrunde gehen.
