2.
S. 278 Wer könnte das Gebrechen genügsam schildern: wie die Jähzornigen bei der geringsten Veranlassung aufbrausen, schreien, toben, wilder wie jedes giftige Tier losstürzen und nicht eher ruhen, als bis sie ein großes, unheilbares Unglück angerichtet haben, worauf dann der Zorn wie eine in ihnen angeschwollene Blase zerplatzt und die Flamme erlischt? Denn weder die Schärfe des Schwertes noch Feuer noch sonst ein Schrecknis ist imstande, der vor Zorn rasenden Seele Einhalt zu tun, so wenig wie den von Teufeln Besessenen, denen die Zornerregten im Äußern wie in ihrer Seelenverfassung gleichen. Denn in den Racheschnaubenden wallet das Herzblut, wie durch Feuersgewalt zum Sieden und Brausen gebracht, und, an die Oberfläche des Körpers getrieben, zeigt es den Zornigen in einer anderen Gestalt; es verwandelt das gewöhnliche, normale Aussehen wie etwa die Maske die Person auf der Bühne verändert. Ihre Augen, nicht mehr natürlich und wie sonst, erkennt man nicht; der Blick ist verstört und sprüht förmlich Feuer. Sie fletschen die Zähne wie kämpfende Eber. Das Gesicht ist blau und mit Blut unterlaufen, die Körpermasse aufgedunsen. Die Adern möchten springen; der Atem ist erregt vom inneren Sturme. Die Stimme ist rauh und schreiend, die Rede ungeordnet, unüberlegt, erfolgt nicht absatzweise, nicht in richtiger Reihenfolge, nicht in verständlichem Tone. Wann aber der Zorn auf Grund von Sticheleien wie eine mit Brennstoff reichlich genährte Flamme unbändig auflodert, dann aber, dann kann man unbeschreibliche und unerträgliche Schauspiele erleben: Hände, die sich gegen Verwandte erheben und keinen Teil des Leibes verschonen, Füße, die schonungslos auf die edelsten Teile losspringen, eine Raserei, die alles, was sie sieht, als Waffe gebraucht. Stoßen aber die Zornigen auf einen Gegner, der ebenso leidenschaftlich ist, wie sie selber sind, stoßen sie auf einen anderseitigen Zorn und eine gleiche Raserei, so fallen sie übereinander her, tun und leiden gegenseitig alles, was füglich denen widerfährt, die von einem solchen Dämon sich leiten lassen: Verstümmelte Glieder und oft den Tod tragen solche Kämpfer als Preis des Zornes davon. Der eine erhob S. 279 zuerst seine Frevlerhand, der andere wehrte sich; der erste griff wieder an, der letztere gab nicht nach. So wird der Körper mit Streichen zerschlagen; der Zorn aber macht gegen den Schmerz unempfindlich. Denn die haben keine Zeit, auf den Schmerz zu achten, weil ihre ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, am Beleidiger Rache zu nehmen.
