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Was bedarf’s so vieler Worte? Dem einen verschließt die Lästerung das Himmelreich — denn „Lästerer werden das Reich Gottes nicht erben1“; dir aber hat das Stillschweigen dieses Reich bereitet. „Denn wer ausharrt bis ans Ende, der wird selig werden2.“ Wehrst du dich aber und vergiltst dem Lästerer Gleiches mit Gleichem, wie willst du dich dann rechtfertigen? Etwa mit der Entschuldigung, er habe mit Sticheln angefangen? Wie soll das entschuldigen? Auch der Unzüchtige, der die Schuld auf die Hure als die Verführerin zur Sünde abwälzen will, wird deshalb nicht weniger streng verurteilt. Ohne Gegner keine Siegeskronen, ohne Feinde keine Niederlagen. Höre, was David sagt: „Als der Sünder wider mich auftrat, ward ich nicht zornig und verteidigte mich nicht, sondern ich verstummte und verdemütigte mich und schwieg auch vom Guten3.“ Wenn du dich aber über die Schmähung empörst als über etwas Schlimmes, sie aber nachahmst S. 282 als etwas Gutes, so tust du ja selbst, was du tadelst! Oder besiehst du dir das fremde Gebrechen genau, achtest aber deine eigene Schändlichkeit für nichts? Etwas Verruchtes ist die Schmähung; hüte dich, sie nachzuahmen! Daß ein anderer angefangen hat, kann dich nicht entschuldigen. Nach meiner Überzeugung entspricht es eher der Gerechtigkeit, deshalb den Unwillen über dich zu steigern, weil jener das belehrende Beispiel nicht hatte: Du hast den Zornigen in seiner abstoßenden Gestalt gesehen und dennoch dich nicht davor gehütet, ihm ähnlich zu werden, sondern zeigst dich ungehalten, aufgebracht und zornig wie jener; so wird deine Leidenschaft eher eine Entschuldigung für den, der angefangen. Denn eben durch dein Benehmen befreist du jenen von der Schuld und verurteilst dich selbst. Ist nämlich der Zorn etwas Schlimmes, warum hast du das Böse nicht gemieden? Ist er aber verzeihlich, warum bist du dann über den Zornigen aufgebracht? Wenn du also erst als Zweiter zur Vergeltung geschritten bist, so wird dir das nichts nützen. Auch wird bei den Preis-Kampfspielen nicht der gekrönt, der angefangen, sondern der gesiegt hat. Und verurteilt wird also nicht bloß der, der mit dem Unrecht begonnen hat, sondern auch der, welcher dem verruchten Führer zur Sünde gefolgt ist.
Nennt er dich arm, und sagt er damit die Wahrheit, so nimm die Wahrheit hin! Lügt er aber, was geniert dich dann seine Aussage? Werde nicht stolz bei überschwenglichen Lobsprüchen noch aufgebracht bei Schmähungen, die dich nicht berühren! Siehst du nicht, wie die Pfeile harte, feste Körper gewöhnlich durchschlagen, in weichen, nachgiebigen aber ihre Kraft verlieren? Glaube es: Eine ähnliche Bewandtnis hat es auch mit der Schmähung. Wer dagegen Sturm läuft, nimmt sie in sich auf, wer aber nachgibt und ausweicht, entkräftet durch seine Gelassenheit die gegen ihn geschleuderte Bosheit. Was aber regt dich die Bezeichnung „arm“ so sehr auf? Denke doch an deine Natur; denke, daß du nackt in die Welt hereingekommen bist, und daß du sie nackt wieder verlassen wirst4! Was ist aber ärmer als S. 283 ein Nackter? Du hast nichts Schreckliches gehört, wenn du das Gesagte nicht einzig und allein auf dich beziehst. Wer wurde je wegen Armut ins Gefängnis geworfen? Nicht Armut schändet, wohl aber die Armut nicht in edler Gesinnung ertragen. Denke an den Herrn, der, „obschon reich, unsertwegen arm wurde5.“ — Hat der Gegner dich einen unverständigen und unwissenden Menschen genannt, so erinnere dich der Schmähungen, mit denen die Juden die wahre Weisheit überhäuft haben. „Du bist ein Samaritan und hast den Teufel6.“ Wenn du nun darob zornig wirst, so bestätigst du die Schmähungen. Denn was ist törichter als der Zorn? Bleibst du aber ruhig, so beschämst du den Schimpfer und zeigst in der Tat Besonnenheit. — Wurdest du geschlagen? Auch unser Herr wurde es. Wurdest du angespien? Auch dem Herrn erging es so. „Er wandte sein Antlitz nicht ab von der Schmach des Anspuckens7.“ Wurdest du verleumdet? Der Richter gleichfalls. Zerrissen sie dir das Kleid? Sie haben auch meinen Herrn entkleidet und sein Gewand unter sich geteilt8. Du wurdest noch nicht zum Tode verurteilt, noch nicht gekreuzigt. Es fehlt dir noch vieles, um zu seiner Nachfolge zu gelangen.
