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Was könnte es also Furchtbareres geben als diese Krankheit? Sie ist der Untergang des Lebens, die Pest S. 292 der Natur, die Feindin der Gaben Gottes, die Gegnerin Gottes selbst. Was hat den Erzbösewicht, den Teufel, zum Kriege gegen die Menschen entflammt? Nicht der Neid, durch den er sich offen als Feind Gottes verraten hat? Denn er war aufgebracht über Gott wegen seiner Freigebigkeit dem Menschen gegenüber und wollte sich am Menschen rächen, da er es an Gott nicht vermochte. — Dasselbe tat erwiesenermaßen auch Kain, der erste Schüler des Teufels, von dem er Neid und Mord gelernt, zwei verschwisterte Laster, die auch Paulus miteinander verbindet, wenn er sagt: „Voll Neid und Mord1.“ Was war es nun, was Kain tat? Er sah die Ehrung (seines Bruders) durch Gott, entbrannte vor Eifersucht und erschlug den Geehrten, um am Ehrenden sich zu rächen; zu schwach zu einem Kampfe gegen Gott, verfiel er auf den Brudermord.
Brüder, fliehen wir die Krankheit als die Lehrerin des Kampfes gegen Gott, als die Mutter des Mordes, als eine Zerrüttung der Natur, als eine Verkennung der Verwandtschaft, als die verrückteste Plage! Was bist du traurig, o Mensch? Es ist dir doch nichts Arges widerfahren? Warum feindest du den an, der einige Güter besitzt, wenn er doch die deinigen nicht verringert? Wenn du aber ungehalten bist, weil du selbst Wohltaten empfangen hast, mißgönnst du dir dann nicht dein persönliches Wohlergehen? Ein solcher Mensch war Saul, den die Fülle empfangener Wohltaten zum Kampf gegen David veranlaßte. Zunächst versuchte er, durch Davids melodische, göttliche Musik von der Schwermut befreit, seinen Wohltäter mit der Lanze zu durchbohren. Dann, mitsamt dem Heere aus den Händen der Feinde errettet und von der Schmach Goliath gegenüber befreit, wollte er, als die tanzenden Frauen in ihren Siegeshymnen David den zehnfachen Anteil an den Taten zueigneten und sangen: „David hat seine zehntausend erschlagen, Saul aber seine tausend2“, wegen dieser einen, ganz auf Wahrheit beruhenden Aussage ihn zunächst mit eigener Hand ermorden und hinterlistig aus dem Wege S. 293 räumen; dann zwang er ihn zur Flucht, ließ aber auch jetzt nicht von der Feindschaft ab, sondern zog schließlich mit einer Elite von dreitausend Mann gegen ihn zu Feld und durchstreifte die Wüste3. Hätte man ihn nach dem Vorwande zum Kriege gefragt, so hätte er jedenfalls als solchen die Wohltaten des Mannes angegeben. Und als Saul eben bei der Gelegenheit dieser Verfolgung schlafend angetroffen wurde und vom Feinde leicht hätte getötet werden können, da wollte der Gerechte nicht Hand an ihn legen, sondern rettete ihn wieder4; aber auch diese Wohltat rührte Saul nicht. Im Gegenteile sammelte er ein neues Heer und verfolgte ihn wieder. Jetzt wurde er ein zweites Mal von David in einer Höhle gefangen, wobei Davids Tugend noch herrlicher erstrahlte, wie anderseits Sauls Bosheit noch sichtlicher an den Tag kam.
Die unversöhnlichste Art des Hasses ist der Neid. Wohltaten machen ja die sonst Feindseligen ruhiger; den Neider und Bösartigen aber regen Wohltaten nur noch mehr auf; je größere er empfängt, desto größer wird sein Ärger, Verdruß und Unwille. Größer ist sein Ärger über die Macht des Wohltäters als sein Dank für empfangene Wohltaten. Wo ist ein wildes Tier, das die Neidischen nicht durch Unverträglichkeit übertreffen? Wo ein ungezähmtes Wild, das sie nicht an Wildheit überbieten? Die Hunde werden zahm, wenn man sie füttert; die Löwen werden folgsam, wenn man sie pflegt; die Neidischen werden aber durch Gefälligkeiten nur noch wilder.
