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S. 16 Die Brüder sollen in Reinheit und Lauterkeit, in Liebe und Frieden miteinander leben und mit den inneren Gedanken Kampf und Krieg führen.
Es ist Pflicht der Brüder, in inniger Liebe miteinander zu leben, sie mögen beten oder die Schrift lesen oder eine Arbeit verrichten, damit sie das Fundament der gegenseitigen Liebe bewahren. Nur so kann man an jenen Beschäftigungen Gefallen finden und alle, die Betenden, die Lesenden und die Arbeitenden, können in Lauterkeit und Einfalt miteinander leben und sich gegenseitig nützen. Warum steht denn geschrieben: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“1? Deshalb, damit, wie die Engel im Himmel beisammen sind, in starker Eintracht, in Frieden und Liebe leben und keinen Stolz und Neid kennen, sondern in Liebe und Lauterkeit miteinander leben, so auch die Brüder miteinander verkehren. Es kommt vor, daß sie manchmal bis zu dreißig beisammen sind, doch den ganzen Tag und die ganze Nacht können sie nicht beieinander bleiben; vielmehr obliegen einige von ihnen sechs Stunden lang dem Gebete, andere leisten bereitwillig Dienste, wieder andere von ihnen verrichten irgend eine Arbeit.
Die Brüder sollen also bei allem, was sie tun, in Liebe und Freude miteinander verkehren. Der Arbeitende soll von dem Betenden also sprechen: Der Schatz, den mein Bruder erwirbt, gehört, da er gemeinsam ist, auch mir. Und der Betende soll von dem Lesenden also sagen: Der Gewinn, den jener aus dem Lesen zieht, kommt auch mir zunutze. Und der Arbeitende wiederum soll sagen: Der Dienst, den ich verrichte, kommt der Gemeinschaft zugute. Denn wie die vielen Glieder des Leibes nur ein Leib sind und einander unterstützen S. 17 und jedes seine Aufgabe erfüllt2, das Auge für den Leib sieht, die Hand für alle Glieder arbeitet, der Fuß geht und alle Teile trägt und ein anderes [Glied] leidet, so sollen auch die Brüder untereinander sein. Der Betende soll nicht richten über den Arbeitenden, weil er nicht betet. Der Arbeitende soll nicht über den Betenden urteilen: Jener verharrt [im Gebete] und ich arbeite. Ebenso soll der Dienende nicht über einen anderen richten. Vielmehr soll jeder das, was er tut, „zum Preise Gottes“3 tun. Der Lesende soll für den Betenden Liebe und Freude im Herzen tragen, indem er denkt: Er betet [auch] für mich. Und der Betende soll in Betreff des Arbeitenden denken: Was er tut, das tut er zum gemeinsamen Nutzen.
