4.
Manche, die sich selbst verwahrten und unter Gottes mächtigem Gnadenwirken standen, fanden ihre Glieder so geheiligt, daß sie schlossen, im Christentum könne es [für sie] keine Lust mehr geben, sondern sie besäßen einen nüchternen und lauteren Sinn; der „innere Mensch“ wäre somit in das Göttliche und Himmlische entrückt, so daß man überhaupt glauben müßte, ein solcher habe das Vollkommenheitsziel schon erreicht. Doch wie er meinte, im ruhigen Hafen bereits gelandet zu sein, da erhoben sich gegen ihn Wogen, so daß er sich wieder mitten im Meere fand und dorthin verschlagen wurde, wo man nur das Meer, den Himmel und den Tod vor Augen hat. So drang die Sünde ein und wirkte jedwede böse Lust. Sobald dann solche nur einiger Gnade gewürdigt werden und von dem ganzen abgrundtiefen [Gnaden] meere sozusagen nur ein Tröpfchen bekommen, machen sie die Wahrnehmung, daß sich stündlich und täglich [in ihnen] eine solch wunderbare Wirkung vollzieht, daß der, der die Wirkungskraft erfährt, über die unerwartete, fremdartige, göttliche Tätigkeit staunt und sich wundert, wie es möglich war, daß er sich S. 295 betören ließ. Sodann erleuchtet und leitet ihn die Gnade, bringt ihn zum Frieden und erweist ihm Gutes. Sie ist in jeder Hinsicht göttlich und himmlisch. Darum erachtet man im Vergleich zu jenem Könige und Machthaber, Weise und Würdenträger für ganz klein und gering. Nach kurzer Zeit aber ändert sich die Sache derart, daß ein solcher sich wirklich für den größten Sünder unter allen Menschen hält. Zu einer anderen Stunde wiederum erscheint er sich als ein überaus großer, gewaltiger König oder als ein mächtiger Freund des Königs. Und wiederum zu einer anderen Stunde kommt er sich schwach und bettelarm vor. Da verfällt der Sinn in Ratlosigkeit, warum dies bald so und bald wieder anders ist. Der Grund ist der: Satan, der das Gute haßt, flüstert denen, die die Tugend üben, das Böse ein und bemüht sich, sie zu verkehren. Denn dies ist sein Geschäft.
