2.
[Forts. v. S. 322 ] Ich rede noch nicht die wahre und erste Weisheit, welche vor allem unser bewundernswerter Landmann und Hirte1 beherrscht. Erste Weisheit ist ein gutes Leben, das schon geweiht ist oder erst geweiht wird dem Herrn, der vollkommen makellos und rein ist und von uns kein anderes Opfer fordert als Reinheit oder ― wie die Schrift sich gerne ausdrückt ― „ein zerknirschtes Herz2“, „ein Opfer des Lobes3“, „ein neues Geschöpf in Christus4“, einen neuen Menschen5“ u. dgl. Die erste Weisheit besteht darin, jene Weisheit gering zu achten, welche sich auf Worte und Redewendungen und auf schlaue, geschwollene Kritiken verlegt. Ich will lieber fünf verständige Worte in der Kirche reden als tausend schöne Phrasen in unverständlichem Trompetentone, der meine Soldaten nicht zum geistigen Kampfe zu wecken vermag. Ich lobe und ehre die Weisheit, durch welche Männer ohne Bildung zu Ruhm gelangten und bei welcher verachtete Menschen die Ehre des Vortrittes erhielten und mit welcher Fischer den ganzen Erdkreis gewannen, indem sie ihn mit dem Netze des Evangeliums fingen und mit kurzen, kräftigen Worten die geschwächte Weisheit besiegten. In meinen Augen ist nicht der weise, der gescheit reden kann oder der zwar eine gewandte Zunge, aber ein unbeständiges, unverständiges Herz besitzt und den Gräbern gleicht, die außen schön und schmuck sind, innen jedoch moderndes Totengebein und viel Gestank bergen6, sondern der, welcher wenig über Tugend spricht, aber sie oft in seinen Werken offenbart und seine Worte durch den Lebenswandel bestätigt.
