10.
Wenn seinerzeit darauf geachtet wurde, daß kein Beil den Altar berührte1 und daß keine Axt darauf gesehen oder gehört wurde, um anzudeuten, daß alles, was Gott geweiht ist, von Natur und frei von Kunst sein soll, muß man es dann nicht auch anerkennen, daß die Frau des Verstorbenen stillschweigend dem Gottesdienste beiwohnte, daß sie niemals dem heiligen Altare den Rücken zuwandte oder auf den geweihten Boden spuckte, daß sie niemals heidnischen Frauen, mögen sie auch ganz ehrbare Verwandte gewesen sein, die Hände reichte oder sie küßte, daß sie weder freiwillig noch gezwungen mit solchen, die an S. 360 unheiliger, ungeweihter Tafel saßen, das Salz teilte und es niemals zuließ, ein unreines Haus, den Vorschriften des Gewissens zum Trotze, zu betreten oder anzuschauen, daß sie ihre Ohren, welche göttliche Worte hörten, nicht durch heidnische Erzählungen und ihre Zunge, welche göttliche Worte sprachen, nicht durch heidnische Theatermusik entehrte, weil Unheiliges nicht zum Heiligen passe, daß sie ferner ― was noch staunenswerter ist ― sich, trotzdem sie auch außerordentlich vom Leide der Mitmenschen niedergedrückt wurde, doch niemals so sehr äußerem Schmerze überließ, daß sie eher in Klage- als in Dankesworte ausgebrochen wäre, oder daß ihren vom Sakramente gesalbten Augen Tränen entströmt wären, oder daß sie an einem Festtage mit Rücksicht auf ihr vieles Leid in Trauer einhergegangen wäre? Nach ihrer Ansicht hatte eine gottgesalbte Seele die Pflicht, alles Menschliche dem Göttlichen unterzuordnen.
Deut. 27, 5. ↩
