V. Brief (an den Diakon Dorotheus)
(Das mystische Dunkel, von dem in De Mystica *Theologia
gesprochen wird. cf. epistola* I.)
Das göttliche Dunkel ist das unzugängliche Licht, in dem Gott wohnt, wie man sagt. Und da Er unsichtbar ist wegen des übermäßigen Offenbarseins und ebenso unzugänglich wegen des Übermaßes der überseienden Lichtergießung, so kommt es, daß jeder, der gewürdigt wird, Gott zu schauen und zu erkennen, gerade durch Nichtsehen und Nichterkennen wahrhaft zu Dem gelangt, der über Schauen und Erkennen ist: eben dies erkennend, daß Er über allem Sinnlichen und Geistigen ist, und mit dem Propheten sprechend: Wunderbar ist Dein Wissen über mich hinaus geworden; es ist stark geworden, und ich vermag nicht dahin zu gelangen. So wird auch von dem göttlichen Paulus gesagt, er habe Gott erkannt, indem er erkannte, daß Er über allem Wissen und Erkennen ist. Darum sagt er auch, daß Seine Wege unerforschlich sind und unergründlich Seine Urteile, unaussprechlich Seine Gaben und Sein Frieden über alles Begreifen: da er Den gefunden hatte, der über allem ist, und dies über alles Erkennen erkannt hatte, daß Er, der Urheber alles Seienden, über alles hinaus ist.
(Corderius – S. 1075 f. – : zu 1 Tim 6, 16.)
VI. Brief (an den Priester Sosipater)
Nicht andere widerlegen, sondern die Wahrheit unwiderleglich beweisen
Halte nicht dies für einen Sieg, heiliger Sosipater, gegen einen Glauben oder eine Meinung loszufahren, die einem nicht gut scheinen; denn wenn Du sie auch ausgezeichnet widerlegst, so steht es damit nicht schon um die Sache des Sosipater gut; es ist nämlich möglich, daß sowohl Dir als anderen unter vielem trügerischen Schein das Wahre, das eines und verhüllt ist, verborgen bleibt. Denn wenn etwas nicht rot ist, so ist es damit noch nicht weiß; und wenn einer kein Pferd ist, so ist er nicht notwendig ein Mensch. Wenn Du also auf mich hörst, wirst Du folgendermaßen handeln: Du wirst davon ablassen, gegen andere zu sprechen, wirst aber über die Wahrheit so sprechen, daß das Gesagte völlig unwiderleglich ist.
(Corderius: vgl. Tit 3, 9.)
