§ I Beispiele der Milde aus dem AT und Xs = Christus selbst. Unmenschliches Vorgehen des Demophilos. Wahrung der gottgesetzten Ordnung
Die Geschichtsbücher der Hebräer berichten, edler Demophilos, auch jener hl. Moses sei wegen seiner großen Milde der Gotteserscheinung würdig erachtet worden. Und wenn sie einmal erwähnen, daß er der Gottesschau beraubt worden sei, so trennen sie ihn von Gott, nicht aber ab von der Milde. Sie sagen nämlich, der Herr sei im Zorn ergrimmt gegen ihn, weil er sich sehr überheblich betrug und den göttlichen Ratschlüssen widerstrebte. Wenn sie ihn aber rühmen als ausgezeichnet durch göttliche Würden, dann wird er gepriesen auf Grund der hervorragenden Nachahmung des gütigen Gottes. Denn er war sehr sanft, und deshalb wird er Diener Gottes genannt und würdiger als die übrigen Propheten, Gott zu schauen. Ja, als gegen ihn und Aaron einige unverschämte Menschen Streit anfingen wegen des Hohenpriestertums und der Volksführung, zeigte er sich erhaben über alle Ehr- und Herrschsucht und übertrug die Führung des Volkes dem von Gott Erwählten. Als sie sich aber gegen ihn verschworen, ihn wegen des Vergangenen schmähten und bedrohten und schon beinahe tätlich angriffen, da rief jener Sanftmütige den guten [Gott] zur Rettung herbei, bekannte aber freimütig in aller Bescheidenheit, daß er unschuldig sei an allen Übeln, die die Unterworfenen träfen; er wußte nämlich, daß der, der mit Gott vertraulich verkehrt, sich nach Kräften bemühen muß, Ihm soweit möglich ähnlich zu werden und in seinem Gewissen der Liebe zum Guten in seinen Werken sicher zu sein. Was hat sodann David, Gottes Ahnherrn, zum Freund Gottes gemacht? Doch wohl, daß er gut war und auch gegen die Feinde gut: Ich habe, sagte der Über-Gute und Gutes Liebende, einen Mann nach meinem Herzen gefunden. Ja, eine gütige Bestimmung hatte ihm gewährt, auch für das Vieh seines Feindes Sorge zu tragen. Auch Job wurde als festhaltend an der Unschuld gerechtfertigt. Und Joseph rächte sich nicht an seinen heimtückischen Brüdern, und Abel ging einfältig und arglos mit dem Brudermörder.
Und alle rühmt die Heilige Schrift als gut, die das Böse weder vorher befürchteten noch vorgaben und nicht einmal angesichts der Schlechtigkeit anderer vom Guten abließen, im Gegenteil gottähnlich selbst den Bösen Gutes erwiesen und ihre ganze Güte über sie ergossen und sie freundlich zu Ähnlichem aufriefen. Doch wir wollen das Haupt zur Höhe erheben; nicht die Milde heiliger Menschen wollen wir verkünden noch die Güte der menschenfreundlichen Engel, die Mitleid haben mit den Völkern und Gutes für sie erbitten (oder: den Guten – ἀγαϑοῦ), der Menge der Unheilstifter und Übeltäter Vorwürfe machen, unser Unglück mitempfinden und sich freuen über die Rettung derer, die sich zum Guten bekehrt haben, und was sonst noch die Heilige Schrift von den wohltätigen Engeln berichtet; sondern wir wollen die wohltätigen Strahlen des wahrhaft guten und überguten Christus in Ruhe empfangen und uns durch sie zu seinen göttlichen Wohltaten ins Licht führen lassen. Nun denn – ist es nicht unaussprechliche und unbegreifliche Güte, daß Er das, was ist, sein macht und all das zum Sein geführt hat und will, daß alles Ihm stets ähnlich werde und an Ihm teilhabe nach der Fassungskraft eines jeden? Ferner, daß Er selbst nach denen, die von Ihm abfallen, liebend verlangt und eifrig um sie bedacht ist und bittet, daß Er nicht verschmäht werde, wenn sie sich abwenden und spröde tun (τῶν ἐρωμένων καὶ ϑρυπτομένων αὐτῶν); ja, Er erträgt sie auch, wenn sie Ihm grundlos Vorwürfe machen und entschuldigt sich selbst; und Er erbietet sich noch mehr, sie zu heilen. Und wenn sie noch entfernt sind, aber doch zugleich schon sich nähern, eilt Er ihnen entgegen und begegnet ihnen, umarmt sie innigst (ganz die ganzen) und küßt sie und wirft ihnen das Vergangene nicht mehr vor, sondern liebt das Gegenwärtige und feiert ein Fest, ruft die Freunde zusammen, die Guten nämlich, damit eine Wohnung sei für alle, die sich freuen. Nun denn, Demophilos, und wenn noch jemand anders den Guten feindselig entgegentritt, wird er mit Recht getadelt und über das Gute belehrt und dazu aufgemuntert (ἀγαϑύνεται). Mußte sich denn nicht, [sagt er], der Gute über die Rettung der Verlorenen freuen und über das Leben der Verschiedenen? Wenn Er doch den auf seine Schultern hebt, der sich gerade erst vom Irrweg zurückgewendet hat, und die guten Engel zur Freude aufruft, ja, auch gütig ist gegen die Undankbaren und Seine Sonne aufgehen läßt über Gerechte und Ungerechte und selbst Sein Leben einsetzt für die Fliehenden. Du aber stürztest Dich, wie Dein Brief zeigt, auf den Priester und verjagtest den, den Du einen Gottlosen und Sünder nennst, in eigener Person (= persönlich zugegen), ich weiß nicht wie. Danach bat er und versicherte, er sei zur Heilung der Schlechten gekommen; Du aber schmähtest noch, ohne Scheu, keck den guten Priester, weil er sich des Reumütigen erbarmte und den Gottlosen rechtfertigte; und endlich sagtest Du zu dem Priester: Geh hinaus, mit Deinesgleichen bist Du zu Unrecht ins Heiligtum eingebrochen und hast das Allerheiligste verunreinigt; und Du schreibst uns, Du hättest das Heiligtum, das verletzt werden sollte, vorsorglich gerettet und bewahrtest es noch jetzt unversehrt. Nun also höre unsere Meinung. Es wäre unrecht, wenn ein Priester von Diakonen, die an Rang über Dir stehen, oder von Mönchen, die Deines Standes sind, getadelt würde, wenn er auch gegen das Göttliche zu freveln schiene oder wenn er einer andern verbotenen Handlung überführt würde. Denn wenn Unordnung und Ununterwürfigkeit eine Überschreitung der göttlichsten Bestimmungen und Satzungen ist, so hat es (gibt es) keinen Sinn (Grund), um Gottes willen die gottgegebene Ordnung umzustoßen. Denn Gott ist nicht in sich selbst geteilt – wie könnte sonst Sein Reich bestehen? Denn wenn das Urteil bei Gott steht, wie die Schrift bezeugt, die Priester aber Engel sind und nächst den Bischöfen Ausleger der göttlichen Urteile, so lerne von ihnen, wie es Dir geziemt, durch Vermittlung der Diakone, das Göttliche, wenn es an der Zeit ist – von ihnen, durch die Du gewürdigt wurdest, Mönch zu sein. Verkündigen nicht eben dies auch heilige Symbole? Denn das Allerheiligste ist nicht einfach von allen abgesondert; sondern der Stand der Bischöfe nähert sich ihm am meisten, sodann der Priesterstand, ihnen folgend sodann der der Diakone; der Mönchsordnung sind die Türen des Heiligtums zugewiesen, bei denen sie auch geweiht werden und Aufstellung genommen haben; nicht um sie zu bewachen, sondern der Ordnung wegen und damit sie erkennen, daß sie sich mehr als die Priester dem Volk nähern. So hat denn die heilige Leitung der heiligen Dinge heilig festgesetzt, daß sie am Göttlichen teilhaben sollen, anderen aber, nämlich denen, die weiter innen stehen, hat sie das Anteilgeben übertragen; die aber, die sinnbildlich immer den Altar umstehen, sehen und hören das Göttliche, das ihnen, von fernher strahlend, enthüllt wird, und gütig vorschreitend zu denen, die außerhalb der Vorhänge des Heiligtums sind, zu den ihnen untergeordneten Mönchen und dem heiligen Volk und den Ordnungen, die in der Reinigung sind, machen sie das Heilige bekannt je nach der Würdigkeit: Das wurde unverletzt bewahrt, bis Du, selbstherrlich dahin einbrechend, Dir erzwungen hast, daß das Allerheiligste Dir wider Willen preisgegeben wurde; und Du behauptest, Du hättest das Heiligtum zu bewachen; und dabei siehst und hörst und hast Du nichts von dem, was den Priestern geziemt; denn Du erkennst ja nicht die Wahrheit der Heiligen Schrift, da Du sie täglich mit Worten bekämpfst zum Verderben der Hörer. Denn hätte jemand die Führerstellung im Volk an sich gerissen, ohne daß sie ihm der König übertragen hätte, würde er mit Recht gestraft. Und wenn ein Fürst über Menschen Recht spräche oder sie verurteilte und einer der ihm untergebenen Dabeistehenden es wagte, sein Urteil anzugreifen, würde er ihn nicht, sage ich, beschimpfen und der Herrschaft berauben? Du aber, Mensch, bist so verwegen in den Sachen des Milden und Gütigen und gegenüber dem von ihm eingesetzten Priestertum. Und dies müßte man sagen, wenn jemand sich etwas über seinen Rang anmaßte, aber dabei etwas Richtiges zu tun glaubte; denn auch dies ist niemandem erlaubt. Denn was tat Ozias Verkehrtes, als er dem Herrn räucherte? Was Saul, als er opferte? Was die tyrannischen bösen Geister, als sie der Wahrheit entsprechend Jesus verkündigten? Aber in der Hl. Schrift wird jeder hinausgewiesen, der sich um fremde Angelegenheiten kümmert, und jeder soll in der Ordnung seines Dienstes stehen, und allein der Hohepriester soll in das Allerheiligste eintreten, und das einmal im Jahr, und in der vollkommenen priesterlichen Reinheit, die das Gesetz vorschreibt. Und die Priester tragen Sorge für das Heilige, und die Leviten dürfen das Heilige nicht berühren, damit sie nicht sterben. Und der Herr entbrannte in Zorn wegen Ozias' Verwegenheit und schlug Maria mit dem Aussatz, da sie es versuchte, dem Gesetzgeber ein Gesetz zu geben: Und gegen die Söhne Scevas gingen Dämonen an, und Er sagt: Ich habe sie nicht gesandt und sie sind (καί αὐτοῦ) gelaufen; ich habe nicht zu ihnen gesprochen, und sie haben geweissagt; und: Der Gottlose, der mir ein Kalb opfert, ist wie einer, der einen Hund tötet. Um es einfach zu sagen: Gottes vollkommene Gerechtigkeit erträgt die Übertreter des Gesetzes nicht; wenn sie aber sagen: In Deinem Namen haben wir vieles Große gewirkt (δυνάμεις πόλλας), antwortet Er: Ich kenne euch nicht. Weichet von mir alle, die ihr Böses tut. Es ist also unrecht, wie die Hl. Schrift sagt, selbst das, was recht ist, gegen die Würde zu tun. Es muß also jeder auf sich selbst achten, daß er nicht verstehen will, was zu hoch oder zu tief für ihn ist, sondern nur das, was ihm seiner Würde entsprechend zugeordnet ist.
