VII. Brief (an den Bischof Polykarp)
§ I (Wie ep. VI)
Ich wüßte nicht, daß ich gegen Hellenen oder andere gesprochen hätte; denn für rechtschaffene Menschen scheint es mir genügend, die Wahrheit in sich zu erkennen und zu sagen, wie es sich in Wahrheit verhält. Wenn nämlich etwas, was immer es sein mag, nach dem Gesetz der Wahrheit bewiesen und in lauterer Klarheit festgestellt ist, dann wird alles, was sich anders verhält und die Wahrheit vortäuscht, auch widerlegt sein als etwas von dem wahrhaft Seienden Abweichendes und Unähnliches, was mehr scheint als ist. Es ist also überflüssig für den, der die Wahrheit aufweist, gegen diese oder jene zu kämpfen. Es behauptet nämlich jeder von sich selbst, er besitze die Königsmünze, und hat vielleicht ein täuschendes Bild von einem echten Teil davon; hast Du diesen widerlegt, dann wird immer wieder ein anderer auf derselben Sache bestehen. Wenn aber der wahre Sachverhalt (λόγος ἀληϑός) richtig festgestellt ist und gegenüber allen andern unwiderleglich besteht, dann wird alles, was damit nicht vollständig übereinstimmt, durch das unüberwindliche Feststehen des durchaus Wahren zu Fall gebracht. Da ich dies, wie ich glaube, recht erkannt habe, habe ich mich durchaus nicht bemüht, gegen die Hellenen oder andere zu sprechen; vielmehr genügt es mir – und das gebe mir Gott! –, zuerst über die Wahrheit Bescheid zu wissen und dann als Sachkundiger zu sprechen, wie es sich gehört.
§ II
Auseinandersetzung mit Apollophanes: Wunderbare Himmelserscheinungen als Zeichen für das Dasein Gottes
Du sagst aber, der Sophist Apollophanes schmähe mich und nenne mich einen Vatermörder, weil ich in pietätloser (unlauterer) Weise die Hellenen gegen die Hellenen benützte. Jedoch wir könnten ihm mit größerer Wahrheit sagen, die Hellenen benützten in pietätloser Weise Göttliches gegen Göttliches, da sie versuchen, durch Gottes Weisheit die Gottesverehrung auszutreiben. Und ich spreche nicht von der Meinung der Menge, die den Erfindungen der Dichter am Stoff klebend und leidenschaftlich anhängt und der Schöpfung mehr als dem Schöpfer dient, sondern auch Apollophanes selbst benützt pietätlos Göttliches gegen Göttliches; denn durch die Erkenntnis des Seienden, die er selbst gut Philosophie nennt und die von dem göttlichen Paulus als Gottesweisheit bezeichnet wurde, hätten sich wahre Philosophen zum Urheber des Seienden selbst und der Erkenntnis des Seienden hinaufführen lassen müssen. Und um nicht entgegen meinem Vorsatz mehr die Meinung der anderen als die seine zu widerlegen: Apollophanes als ein Weiser mußte wissen, daß sich niemals etwas an der himmlischen Ordnung und Bewegung ändern konnte, es sei denn, daß Der sie dahin lenkte, von dem sie das Sein und Zusammenstimmen hat, Er, der nach der Heiligen Schrift alles vollbringt und abwandelt. Warum verehrt er also nicht Den, von dem wir auch daraus erkannt haben, daß Er wahrhaft der Gott des Alls ist – staunend über Ihn wegen Seiner alles wirkenden und unaussprechlichen Macht? Da doch von Ihm Sonne und Mond zufolge einer ganz außerordentlichen Kraft und Stellung zugleich mit dem All zu völliger Bewegungslosigkeit bestimmt worden sind und das Weltall für einen vollen Tag unter diesen Zeichen stand, ja, was noch mehr ist als dies: Da selbst beim Kreisen aller stärkeren und umfassenden [Sphären] die umfaßten nicht in die Umdrehung miteinbezogen wurden und noch ein anderer Tag durch Ausdehnung fast verdreifacht wurde und ganze zwanzig Stunden hindurch das All den entgegengesetzten Lauf zurücklegte und im wunderbarsten Gegenschwung zurückkehrte, während die Sonne in ihrem eigenen Lauf ihre fünffache Bewegung in zehn Stunden zusammenzog und wiederum dieselbe in weiteren zehn Stunden rückwärts durchlief und, sich in einem neuen Weg übend, zurückging; das versetzte auch die Babylonier gebührend in Schrekken und unterwarf sie ohne Kampf dem Ezechias wie einem gottähnlichen Übermenschen. Ich übergehe die Großtaten in Ägypten und andere gottgewirkte Zeichen, die anderswo geschehen sind, und erwähne nur die allgemeinen, am Himmel geschehenen Zeichen, die allenthalben und von allen gerühmt werden. Aber Apollophanes wird jedenfalls behaupten, das sei nicht wahr; nun wird dies freilich in den heiligen Überlieferungen der Perser vorgetragen, und auch die Magier des dreifachen Mithras pflegen noch die Erinnerung daran. Doch es mag ihm freistehen, diesen Dingen aus Unwissenheit oder Unkenntnis den Glauben zu versagen; sage ihm aber: Was sagst du zu der Sonnenfinsternis, die beim heilbringenden Kreuz geschah? Damals waren wir nämlich beide zusammen bei Heliopolis und standen beieinander und sahen, wie der Mond in unbegreiflicher Weise mit der Sonne zur Deckung kam (es war nicht der Zeitpunkt für ein Zusammentreffen); und wie er wiederum von der neunten Stunde bis zum Abend sich der Sonne auf übernatürliche Weise diametral gegenüberstellte. Rufe ihm auch noch etwas anderes in Erinnerung: Er weiß nämlich, daß wir diese Verdeckung von Osten her beginnen sahen und bis an den Rand der Sonne gelangen, dann wieder rückwärts gehen und wiederum nicht an derselben Seite die Verdekkung und Aufhellung geschehen, sondern auf der entgegengesetzten. Das ist es, was damals übernatürlich geschah und allein durch Christus, den Urheber aller Dinge, möglich war, der Großes und Staunenswertes ohne Zahl vollbringt.
§ III
Staunender Ausruf des Apollophanes. Möglichkeit, ihn zu bekehren
Dies sage, wenn es Dir erlaubt ist; und Du, Apollophanes, widerlege es, wenn Du kannst; und das mir gegenüber, der ich damals mit Dir zusammen zugegen war und zusammen schaute, zusammen fragte und zusammen staunte. Übrigens begann damals auch Apollophanes – woher [er es hatte], weiß ich nicht – zu weissagen und sprach zu mir, als erriete er, was geschah: O bester Dionysius, das geschieht auf Grund göttlicher Dinge (ταῦτα … ϑείων ἀμοιβαὶ πραγμάτων = das ist die Gegengabe oder die Antwort auf …). Soviel soll Dir nun brieflich von mir gesagt sein. Du bist ja fähig, das Fehlende zu ergänzen und den Mann vollends zu Gott zu führen, der in vieler Hinsicht weise ist; und vielleicht wird er es nicht verschmähen, die überweise Wahrheit unseres Glaubens willig zu lernen (πρᾶος, sanft).
