§ I Beispiele gewagter Symbole aus der Schrift. Zwei Arten der Theologie
Ich weiß nicht, bester Titus, ob der hl. Timotheus etwas von meinen Ausführungen über die Symbole der Hl. Schrift nicht gehört hatte, als er schied. Denn in der Symbolischen Theologie hatte ich ihm deutlich alle jene Ausdrücke der Schrift auseinandergesetzt, die der Menge absonderlich scheinen. Denn bei den unvollkommenen Seelen erwecken die Väter den Eindruck einer großen Ungereimtheit, wenn sie die göttliche, geheimnisvolle und den Ungeweihten unzugängliche Wahrheit der unaussprechlichen Weisheit durch verborgene und gewagte Rätselbilder darstellen. Deshalb können wir oft den Worten über die hl. Geheimnisse kaum Glauben schenken, denn wir schauen sie nur durch die sinnenfälligen Symbole, die damit zusammenhängen. Man muß sie aber auch entblößt, wie sie in sich selbst sind, nackt und rein sehen. So nämlich könnten wir den Quell des Lebens schauend verehren, der sich in sich selbst ergießt, und würden ihn sehen, wie er in sich selbst besteht, und die eine einfache Kraft, die sich selbst bewegt, durch sich selbst wirksam ist, sich selbst nicht verläßt, sondern als Erkenntnis aller Erkenntnisse ursprünglich besteht und stets sich selbst durch sich selbst schaut. Wir hielten es also für gut, für uns selbst und für andere, soweit möglich, die Gestaltungen aller Art auseinanderzusetzen, die die heilige Sinnbildformung (συμβολική ἱεροπλαστία) im Hinblick auf Gott bietet; denn wie ist sie, ihrem Äußeren nach, voll unglaublicher und täuschender (πλασματώδους) Absonderlichkeit! Z. B. wenn sie bei der überseienden Gottesgeburt den Schoß Gottes in leiblichem Sinn gottgebärend darstellt oder das Wort als in die Luft hinausgeströmt aus dem Herzen des Menschen, das es ausspeit, und den Geist als aus dem Mund ausgehaucht beschreibt und den gotterzeugenden Schoß als den Gottessohn umfassend uns nach Art eines Leibes besingt oder dies nach Art einer Pflanze beschreibt (φυτικῶς statt φυσικῶς zu lesen?) und uns Bäume und Zweige, Blüten und Wurzeln vorführt oder Quellen, die Wasser hervorsprudeln, oder strahlenaussendende Lichterzeugungen oder andere erklärende Beschreibungen des überwesentlichen Gotteswortes. Bezüglich der geistig zu verstehenden Vorsehung Gottes aber, oder Seiner Gaben, Offenbarungen, Kräfte, Eigenschaften, Anteile, Aufenthalte, Hervorgänge, Scheidungen oder Vereinigungen umhüllt es Gott deshalb mit Mannes- oder wilden Tier- oder vielfältigen Gestalten von anderen Lebewesen, Pflanzen und Tieren; ja, es legt ihm auch weiblichen Schmuck um und barbarische Waffenrüstung und schreibt ihm Töpfer- und Schmelzgießerkunst zu wie einem Handwerker und gibt ihm Pferde und Wagen und Throne zum Sitz und rüstet ihm Gastmähler mit allerhand Speisen zu und stellt ihn essend und trinkend, schlafend und berauscht dar. Was soll man noch reden von Zorn und Leid, von den verschiedenen Eidschwüren, Reue, Flüchen und Groll, von den vielfältigen und gewundenen Scheingründen für das Abweichen von den Verheißungen; von dem Gigantenkampf in der Genesis, wo erzählt wird, daß Er aus Furcht mit List gegen jene gewaltigen Männer vorgegangen sei, die übrigens jenen Bau nicht, um anderen zu schaden, sondern zu ihrer eigenen Rettung ins Werk gesetzt hatten, und von dem Rat, der im Himmel ersonnen wurde, um Achab zu überlisten und zu täuschen; und den vielfachen Erregungen sinnlicher Liebe im Hohenliede und was sonst noch alles an heiligen Zeichen gewagter Gottesdarstellung vorgeschoben und angehäuft ist, um das Verborgene zu zeigen; Geteiltes für das Einfache und Ungeteilte, Gestaltetes und Vielförmiges für das Form- und Gestaltlose; wer ihre im Innern verborgene Schönheit zu schauen vermag, der wird finden, daß alles geheimnisvoll und gottförmig ist und von theologischem Licht erfüllt. Glauben wir also nicht, daß das, was an Zeichen in Erscheinung tritt, um seiner selbst willen gebildet ist; es ist vielmehr hingestellt für eine unaussprechliche und für die Menge unsichtbare Erkenntnis, damit das Hochheilige den Ungeweihten nicht leicht zur Hand sei, sondern nur den wahren Liebhabern der Heiligkeit enthüllt werde, die sich freigemacht haben von allen kindischen Vorstellungen bezüglich der heiligen Symbole und fähig sind, durch Einfachheit des Geistes und Tauglichkeit der Schaukraft zur einfachen, übernatürlichen, über die Symbole erhabenen Wahrheit zu gelangen. Man muß übrigens auch dies bedenken, daß die Überlieferung der Theologen eine doppelte ist: die eine unaussprechlich und verhüllt (= mystisch), die andere offenkundig und leichter faßlich; die eine symbolisch und die Geheimnisse betreffend, die andere philosophisch-beweisend, und das Sagbare ist mit dem Unsagbaren verflochten. Und die eine überzeugt und legt die Wahrheit des Gesagten fest, die andere handelt und befestigt in Gott durch unlehrbare Einführung in die Geheimnisse (ἀδιδάκτοις μυσταγωγίαις). Und in der Tat haben für die Einweihung in die heiligsten Geheimnisse sowohl unserer als der Gesetzesüberlieferung heilige Führer (ἱερομύσται) die gottgeziemenden Symbole nicht vermieden; ja, wir sehen sogar die hochheiligen Engel durch Rätselbilder das Göttliche geheimnisvoll vortragen, und Jesus selbst in Parabeln von Göttlichem sprechen (ϑεολογοῦντα) und die Göttliches wirkenden Geheimnisse im Bild des Gastmahls übergeben. Denn es war geziemend, nicht nur das Allerheiligste unversehrt vor der Menge zu bewahren, sondern auch das menschliche Leben, das ungeteilt und geteilt zugleich ist, in ihm entsprechender Weise das Licht göttlicher Erkenntnisse empfangen zu lassen: einerseits den Teil der Seele, der keine Eindrücke erleidet, für die einfache, innerliche Schau göttlicher Bilder zu bestimmen; andererseits den Teil, der den Eindrücken unterworfen ist, zugleich in der seiner Natur entsprechenden Weise zu heilen und emporzurichten zum Göttlichen durch kunstvoll gebildete Symbolgestalten, da ihm solche Hüllen naturgemäß sind; und alle, die auch das offenkundige Gotteswort ohne Hüllen vernommen haben, gestalten doch offenbar in sich ein Bild (τύπος), das sie zum Verständnis des genannten Gotteswortes führt.
