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39. Der Tod ist also nicht bloß kein Uebel, sondern er ist ein Gut. So wird er wie ein Gut gesucht, wo es heißt: „Die Menschen werden den Tod suchen, aber nicht finden.“ Suchen werden ihn jene, „welche zu den Bergen sagen: Fallet über uns; und zu den Hügeln: Bedecket uns.“ Suchen wird ihn die Seele, die sündigt. Es sucht den Tod jener Reiche, der in die Hölle gestürzt ist, der wünschte, daß seine Zunge mit der Fingerspitze des Lazarus gekühlt würde.
40. Wir sehen also, daß auch hier der Tod als Gewinn, das Leben als Strafe gilt. Paulus sagt aber: „Christus ist für mich Leben, Sterben ist mir Gewinn.“ Was ist Christus aber anders, als der Tod des Leibes, der Hauch des Lebens? Und gerade deßhalb müssen wir mit ihm sterben, damit wir auch mit ihm leben. Das sei also unsere tägliche Uebung, der Gesinnung nach zu sterben, damit durch diese Trennung unsere Seele lerne, sich von den körperlichen Lüsten loszuschälen. Gleichsam emporgetragen, bis wohin irdische Begierden nicht dringen, wo diese ihrer sich nicht bemächtigen können, soll S. 378 die Seele das Bild des Todes aufnehmen, damit sie der Strafe des Todes nicht verfalle. Denn es kämpft das Gesetz des Fleisches wider das Gesetz des Geistes und überliefert die Seele an das Gesetz der Verirrung, wie der Apostel dieses uns enthüllt hat, wenn er sagt: „Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, welches dem Gesetze meines Geistes widerstreitet und mich gefangen hält unter dem Gesetze der Sünde.“ Wir alle werden bekämpft, wir Alle fühlen jenes Gesetz: aber wir werden nicht Alle befreiet: was soll ich unglücklicher Mensch denn nun anders thun, als das Heilmittel aussuchen?
41. Welches Heilmittel aber soll ich suchen? „Wer wird mich befreien vom Leibe dieses Todes? Die Gnade Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus.“1 Wir haben also einen Arzt, folgen wir dem Heilmittel! Es ist die Gnade Jesu Christi, und der Leib des Todes ist unser sterblicher Leib. Darum wollen wir dem Körper uns entfremden, damit wir nicht Christo entfremdet werden. Wenn wir auch im Leibe sind, wollen wir doch nicht irdischer Lust folgen: nicht die Rechte der Natur wollen wir aufgeben, sondern die Gabe der göttlichen Gnade zum Voraus wünschen: „Aufgelöst und mit Christus zu sein,“ sagt der Apostel, „wäre um Vieles besser; aber mehr noch ist es nothwendig, im Fleische zu bleiben um euretwillen.“2
42. Nicht bei Allen jedoch trifft diese Nothwendigkeit zu; Herr Jesus! nicht bei mir, der ich Niemanden nützlich bin: mir ist Sterben Gewinn, damit ich nicht mehr sündige! Mir ist Sterben Gewinn, da ich selbst in meiner Schrift, die Andere trösten soll, einen heftigeren Antrieb zur Sehnsucht nach dem heimgegangenen Bruder finde: sie läßt nicht zu, daß ich sein vergesse. Jetzt liebe ich noch inniger, sehne mich noch heftiger. Ich fühle die Sehnsucht, wenn ich rede, ich fühle sie, wenn ich das Gesprochene wieder lese; und fast glaube ich, daß ich um so eher zum Schreiben mich entschloß, damit ich niemals von der Erinnerung an S. 379 ihn getrennt würde. Das thue ich nun nicht gegen die Schrift, sondern ich fühle mit der Schrift, so daß ich geduldiger den Schmerz empfinde, aber mit größerer Ungeduld auch die Sehnsucht.
43. Du hast den Beweis mir geliefert, mein Bruder, daß ich den Tod nicht fürchten sollte: wenn nur meine Seele in deiner Seele sterben möchte! Das wünschte sich auch Balaam als das größte Gut, da er im prophetischen Geiste ausrief: „Wenn doch stürbe meine Seele in den Seelen dieser Gerechten, und wäre doch mein Same wie ihr Same!“ Das ist in Wahrheit prophetisch gesprochen; denn wie er die Ankunft Christi erkannt hatte, so sah er auch seinen Triumph; er sah seinen Tod, aber auch in seinem Triumphe die Auferstehung aller Menschen zur Ewigkeit: und gerade deßhalb fürchtet er den Tod nicht, weil er auferstehen wird. Meine Seele möge also nicht sterben in der Sünde, auch nicht die Sünde in sich aufnehmen; sie möge vielmehr sterben in der Seele der Gerechten, damit sie Tugend derselben in sich aufnehme. Wer aber nun in Christo stirbt, der wird im Bade der Taufe auch seiner Gnade theilhaftig.
