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84. Wenn das geschah, als er den Geist aufgab, warum sollen wir für unglaublich erachten, was er thun wird, wenn er wiederkommt zum Gerichte? zumal jene Auferstehung für die dereinstige Auferstehung Bild und Beispiel ist, ja selbst bereits volle Wirklichkeit. Wer hat denn nun damals die Gräber geöffnet, wer hat den Erstehenden die Hand gereicht, den Weg gezeigt, auf dem sie der heiligen Stadt zuwandeln sollten? Wenn es Niemand war, so war es doch sicher die göttliche Kraft, welche in den todten Körpern wirksam wurde. Was suchst du nun des Menschen Hilfe, wo du das Wirken Gottes erkennst?
85. Das Göttliche bedarf nicht der menschlichen Hilfeleistung. Gott befahl, daß der Himmel werde, und er ist geworden; daß die Erde ins Dasein trete, und sie war da. Wer hat denn nun auf seinen Schultern die Steine herbeigetragen? Wer hat die Stoffe zurecht gelegt? Wer hat dem schaffenden Gotte seine Hilfe geliehen? In einem Augenblicke ist ja Alles geworden: „Er sprach, und es ward.“ Wenn nun auf sein Wort die Elemente sich erheben, warum sollten die Todten auf sein Wort sich nicht von Neuem erbeben? Wohl sind sie todt, aber sie haben doch einstmals gelebt, sie haben eine Seele zum Fühlen und Kraft zum Handeln gehabt: und es ist doch ein gewaltiger Unterschied, niemals einen Geist gehabt zu haben, als von ihm verlassen zu sein. „Sprich zu den Steinen, daß sie Brod werden,“ lautete die Aufforderung des Teufels. Er bekannte dadurch, daß auf Gottes Befehl die Natur sich umwandeln könne: S. 399 und du willst nicht glauben, daß auf Gottes Befehl die Natur veredelt erstehen könne?
86. Über den Lauf der Sonne und das Wesen des Himmels haben die Philosophen ihre Meinungen, und es gibt Leute genug, welche meinen, daß man ihnen glauben müsse, während sie doch nicht wissen, was sie sagen. Sie haben ja den Himmel nicht erstiegen, haben seine Achse nicht gemessen, haben die Welt nicht durchforscht. Keiner von ihnen ist bei Gott gewesen im Anfange der Dinge; keiner von ihnen hat von Gott gesagt: „Als er die Himmel bereitete, da war ich bei ihm, und erfreute mich vor ihm Tag für Tag.“1 Wenn man gleichwohl Jenen glaubt, soll dann Gott doch nicht geglaubt werden? „Wie die neuen Himmel und die neue Erde, die ich vor mir bestehen mache, spricht der Herr, so wird auch euer Same und euer Name bestehen. Und es wird geschehen von Monat zu Monat, und von Sabbath zu Sabbath, daß alles Fleisch kommt, um vor mir anzubeten, spricht der Herr. Und man wird hinaus gehen und schauen die Leichname der Menschen, die sich an mir versündigt haben: ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht erlöschen, und sie werden zum Abscheu sein allen Menschen.“2
87. Wenn nun Himmel und Erde erneuert wird, warum zweifeln wir dann, daß auch der Mensch erneuert werde, um deßwillen doch Himmel und Erde gemacht sind? Wenn der Sünder zur Strafe erhalten bleibt, warum soll nicht der Gerechte ewig leben zur Glorie? Wenn der Wurm der Sünder nicht stirbt, wie soll dann der Leib der Gerechten vernichtet werden? Das ist ja die Auferstehung, wie das Wort selbst es ausdrückt: was niedergesunken, erhebt sich wieder; was gestorben war, soll wieder aufleben.
88. Das ist aber Ende und Ziel der Auferstehung, daß Leib und Seele, wie ihre Handlungen gemeinsam sind, beide auch zum Gerichte kommen, damit beiden Lohn zu Theil S. 400 werde oder Beide ihre Strafe erhalten. Es erscheint auch in der That nahezu unvernünftig, daß der Geist, wenn das Gesetz des Geistes wider das Gesetz des Fleisches kämpft, wenn der Geist oft thut, was er haßt, da die in dem Menschen wohnende Sünde des Fleisches sich auswirkt: daß der Geist dann doch aller Strafe unterliege, weil er fremder Schuld theilhaftig geworden, während der Leib, der Urheber der ganzen Schmach, tiefer Ruhe genießet. Die Seele allein sollte gestraft werden, da sie doch nicht allein gesündigt? Sie allein sollte der Glorie theilhaftig werden, da sie doch nicht allein unter (Hilfe) der Gnade gekämpft hat?
