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49. Es ist also nichts im Tode, was wir fürchten oder beklagen müßten, wenn das Leben entweder der Natur zurückgegeben wird, da es von ihr zurückgefordert wird, wie sie es gegeben hat; oder wenn das Leben einer Pflicht geopfert wird, in welcher ein Akt der Gottesverehrung oder eine Uebung der Tugend eingeschlossen ist. Es hat denn auch in der That noch Niemand gewünscht, „so zu bleiben.“ Es wurde wohl angenommen, Solches sei dem Johannes versprochen; aber gegeben war das Versprechen nicht. Wir halten die Worte fest und leiten aus ihnen den Sinn ab. S. 382 Johannes selbst bestreitet im Evangelium, daß ihm versprochen sei, er solle nicht sterben, damit Niemand an solchem Beispiele eitle Hoffnung nähre. Das nun doch zu wünschen, wäre gar eine kecke, übermüthige Hoffnung; aber noch unberechtigter ist es, wenn man das, was ganz dem Laufe der Dinge gemäß eintritt, über alles Maß betrauern wollte.
50. Auch heidnische Männer trösten sich rücksichtlich des Todes durchweg mit der Allgemeinheit des Unglücks, oder mit dem Rechte der Natur, oder mit der Unsterblichkeit der Seele. Wenn nur dieses letzte Wort ihnen feststände, und wenn sie nur nicht die arme Seele in allerlei abgeschmackte wunderliche Gestalten nach dem Tode versetzten! Was müssen wir aber thun, da die Auferstehung als Lohn uns winkt? Niemand kann ihre Huld und Gnade leugnen, wenn man auch den Glauben an dieselbe verweigert. Und gerade deßhalb wollen wir die Unsterblichkeit mit möglichst vielen Gründen zu beweisen versuchen.
51. Etwas wird nun aber als wirklich geglaubt entweder auf Grund der Erfahrung oder vernünftigen Nachdenkens; auf Grund ferner eines entsprechenden Beispiels oder auch weil es sich geziemt, daß es sei. Diese einzelnen Erwägungen helfen uns zum Glauben. Die Erfahrung lehrt uns, daß wir uns bewegen; die Vernunft sagt uns, daß das, was uns bewegt, als Eigenthümlichkeit einer zweiten Kraft betrachtet werden muß; das Beispiel belehrt uns, daß der Acker Frucht getragen hat, und so nehmen wir an, daß er auch ferner Frucht tragen werde. Geziemend erscheint uns das, weil wir — auch wo wir die Frucht selbst nicht glauben — doch annehmen, daß sie kommen müsse, um nicht das Wirken der Kraft gänzlich aufzugeben.
52. Das Einzelne wird nun auch im Einzelnen erwiesen. Es gibt aber drei Gründe, aus denen der Glaube an die Unsterblichkeit gefolgert wird, welche Alles zusammenfassen: die Vernunft, das Beispiel des ganzen Universums und das Zeugniß der Vergangenheit, weil eben gar Viele schon erstanden sind. Die Vernunft spricht unwiderleglich. Denn wenn der ganze Ablauf unseres Lebens in der Verbindung S. 383 von Leib und Seele stattfindet, die Auferstehung aber den Lohn für die guten oder die Strafe für die bösen Werke bringt: so muß doch auch der Leib erstehen, dessen Handlungen ja gerichtet werden. Oder wie soll die Seele ohne den Leib zum Gerichte gefordert werden, wenn über ihre gegenseitige Verbindung Rechenschaft gegeben werden soll?
53. Die Auferstehung ist Allen zugetheilt, und an dieselbe zu glauben, wird nur deßhalb schwer, weil sie nicht unser eigenes Verdienst, sondern eine Gabe der göttlichen Güte ist. Zuerst bietet sich der Glaube an die Unsterblichkeit in dem Gange der Welt: in dem Wechsel des Werdens und der Abfolge der Dinge, in dem Auf- und Untergange der Himmelszeichen, in dem Niedergange von Tag und Nacht und ihrem täglich wiederkehrenden Beginne. Die bestimmte Art der Zeugungskraft dieser Erde könnte gleichfalls nicht fortdauern, wenn nicht die göttliche Weisheit es so geordnet hätte, daß von jenem Safte, aus dem alles Irdische entsteht, genau so viel durch nächtlichen Thau ersetzt wird, als die Gluth der Tagessonne ausgedörrt hat. Was soll man von den Früchten sagen? Scheint das, was hinabsteigt in den Schooß der Erde, nicht zu sterben? Scheint nicht zu erstehen, was wieder erblüht? Was gesäet ist, was erstorben war, das ersteht wieder und wird zur selben Gattung und Art neu gebildet. Diese Erstehungsfrüchte hat zuerst die Erde gebracht; in ihnen hat unsere Natur die künftige Auferstehung vorgebildet.
