23.
130. Wie unvernünftig und abstoßend ist das Alles! Wäre es denn nicht viel verständiger, wenn man das glaubte, was der Natur entspricht, was durch jede Art von Frucht, durch das Beispiel Anderer bestätigt wird, was die Weissagungen der Propheten, was die himmlische Verheißung Jesu Christi verkündigt? Vor Allem aber ist es würdiger, anzunehmen, daß das Werk Gottes nicht zu Grunde geht, und daß die nach dem Bilde und Gleichnisse Gottes Geschaffenen nicht umgewandelt werden können zur Ähnlichkeit unvernünftiger Thiere, wenn allerdings auch nicht das Bild des Körpers nach Gottes Ähnlichkeit geschaffen ist, sondern nur die Seele. Denn wie kann der Mensch seinem edleren Theile nach in ein Thier eingehen, da ihm doch die Thiere wie alle anderen Wesen unterworfen sind? Das gestattet die Natur nicht, und wenn sie es gestattet, würde es die Gnade Gottes nicht gestatten.
131. Wir haben nun gesehen, was ihr Heiden von euch selbst denket; und es kann in der That nicht Verwunderung erregen, wenn ihr glaubt, daß ihr in Thiere verwandelt werdet, da ihr ja Thiere anbetet. Ich aber wünsche, daß ihr besser von dem Lohne denket, den Gott der Herr uns aufbehalten; glauben sollt ihr, daß ihr nicht in Gemeinschaft unvernünftiger Thiere, sondern in Gesellschaft der Engel dereinst sein werdet.
132. S. 421 Die Seele muß die Wirren dieses Lebens, muß die irdische Hülle ihres Leibes verlassen und den himmlischen Versammlungen zueilen: aber freilich können nur die Heiligen dorthin gelangen. Dort muß die Seele Gott das Lob singen, wie es uns prophetischen Geistes die „geheime Offenbarung“ kündet: „Sie sangen das Lied Moses, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes und sprachen: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott, gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, König der Ewigkeit! Wer sollte dich nicht fürchten, o Herr! wer sollte nicht deinen Namen preisen? Du allein bist ja heilig und alle Völker werden kommen und vor dir anbeten.“1 Zu deinem Hochzeitsmahle, Herr Jesu, soll die Seele kommen: von den irdischen Freuden soll sie als Braut zu himmlischen geführt werden. „Alles Fleisch soll ja zu dir kommen,“2 aber frei vor irdischer Vergänglichkeit, unzertrennlich mit dem Geiste verbunden. Dort wird die Seele das himmlische Brautgemach schauen, wie es geschmückt ist mit Purpur, Rosen, Lilien und Kronen. So ist nur das Hochzeitsmahl des Lammes, so nur sein Gemach geschmückt! Dort glänzt, vergleichbar blauem Purpur, als Schmuck die ausdauernde Geduld der Bekenner, das Blut der Martyrer wie strahlende Rosen; dort schimmert die Lilie der Jungfrauen, die Krone der Priester.
133. Das vor Allem hat David zu schauen gewünscht, wenn er ausruft: „Um Eines habe ich gebeten den Herrn, wiederum verlange ich es, daß ich weile im Hause des Herrn alle Tage meines Lebens, daß ich schaue die Lust des Herrn.“3
134. Wohl ist es ein Segen, das zu glauben, eine Wonne, so zu hoffen: das nicht geglaubt zu haben, ist bittere Pein; solcher Hoffnung gelebt zu haben, ist hohe Gnade. Wenn ich nun darin irre, daß ich dereinst nach meinem Tode lieber mit den heiligen Engeln als mit unvernünftigen Thieren S. 422 vereint zu sein wünsche: dann will ich gerne in diesem Irrthum bleiben, und Nichts soll mich, so lange ich lebe, um diese Hoffnung betrügen.
135. Wo anders finde ich denn auch Trost, als in der Hoffnung, bald zu dir, mein Bruder, zu kommen? wo anders als in der Ueberzeugung, daß dein Hingang nicht eine lange Scheidung für uns einschließen, und daß mir durch deine Fürbitte die Gnade zu Theil werden könnte, daß du bald mich rufst, der ich voll inniger Sehnsucht nach dir bin? Wer sollte aber auch nicht wünschen, „daß dieses Verwesliche die Unverweslichkeit, daß dieses Sterbliche die Unsterblichkeit anziehe?“4 Wie wir jetzt durch die Gebrechlichkeit unseres Körpers dem Tode unterliegen, so werden wir dann, über unsere Natur hinausgehoben, den Tod nicht mehr zu fürchten haben.
