11.
60. Jener Vogel Arabiens, den wir Phönix nennen, lebt wieder auf, wenn nach seinem Tode die wiedererwachende Lebenskraft ihm zurückgegeben wird; und daß die Menschen wieder auferstehen, glauben wir nicht? Oft genug haben wir vernommen und in Schriften gelesen, daß dem gedachten Vogel genau fünfhundert Jahre Lebenszeit bestimmt seien; wenn er dann in prophetischer Ahnung das Ende seines Lebens nahe erkenne, so bereite er sich eine Urne mit Weihrauch, Myrrhen und anderem kostbaren Rauchwerke; nachdem dieses Beginnen zugleich mit der bestimmten Zeit erfüllt sei, trete er selbst in die Urne und sterbe allda; aus seinem Lebenssafte aber entstehe ein Wurm, der allmählich zur Gestalt des Vogels wieder heranwachse; indem die Flugfedern wieder zurückgegeben würden, erneuere sich die frühere Lebensgewohnheit, und so beginne er die alten Lebensverrichtungen wieder gleichsam in Erfüllung einer Dankespflicht. Jene Urne nämlich, — Hülle des Todes oder Wiege der Auferstehung, — in welcher der Phönix nach Ablauf seiner Zeit stirbt, aber aus der er auch wieder seinen Ausgang nimmt: diese Urne kommt aus Äthiopien noch Lycaonien. So erkennen denn die Bewohner jener Gegenden aus dem Wiedererstehen des wunderbaren Vogels, daß die Zeit von fünfhundert Jahren vollendet ist.“1 Für S. 387 den Phönix ist also das fünfhundertste, für uns aber das tausendste Jahr das Jahr der Auferstehung: für jenen noch in der Weltzeit, für uns beim Ende der Welt.“2 Gar Viele nehmen auch an, daß der Phönix die Urne selbst anzünde und aus seiner eigenen Asche wieder erstehe.
61. Vielleicht hat aber die Annahme Berechtigung, daß die tiefer erforschte Natur auch tiefere Begründung des Glaubens anbahnt. So möge denn unser Geist auf den Anfang S. 388 und Ursprung des werdenden Menschen zurückgreifen. Ihr seid Männer und Frauen, denen das, was menschlich, nicht unbekannt ist. Sollten aber Einige von euch in Unwissenheit sein, so glauben diese wohl ohne Zweifel, daß wir aus Nichts geboren werden. Wie verschwindend klein ist die Quelle unseres Daseins! Wenn wir auch nicht weiter uns aussprechen, so wisset ihr doch, was wir sagen, oder eigentlich was wir nicht sagen wollen. Woher wird nun dieses Haupt, dieses bewunderungswürdige Antlitz, dessen Urheber wir nicht sehen, während wir das Werk anstaunen, — woher wird Beides zu den verschiedenen Verwendungen und Thätigkeiten gestaltet? Woher kommt diese aufgerichtete Gestalt, diese erhabene Haltung, die Kraft zu handeln, die Lebhaftigkeit des Gefühles, die Fähigkeit ferner, aufrecht einher zu schreiten? Die eigentlichen Organe der Natur entziehen sich unserer Kenntniß, nur die Verrichtungen derselben sind uns bekannt. Auch du bist Samen gewesen, und dein Leib ist der Samen dessen, was auferstehen wird. Höre, was Paulus sagt, und lerne von ihm, daß du Samen bist: „Gesäet wird der Leib in Verweslichkeit, auferstehen wird er in Unverweslichkeit; gesäet wird er in Unehre, auferstehen wird er in Herrlichkeit; gesäet wird er in Schwachheit, auferstehen wird er in Kraft; gesäet wird ein thierischer Leib, auferstehen wird ein geistiger Leib.“ Und auch du wirst gesäet, wie alles Übrige; was wunderst du dich, wenn du auch erstehest, wie alles Uebrige? Jenes glaubst du, weil du es siehest; dieses glaubst du nicht, weil du es nicht siehest: und doch „sind selig diejenigen, welche nicht sehen und gleichwohl glauben.“
62. Übrigens sollte darnach auch Jenes nicht geglaubt werden, ehe die Zeit dazu kommt; jede Zeit ist ja nicht geeignet, die Saat hervorzurufen. Zu anderer Zeit wird der Weizen gesäet, zu anderer geht er auf; zu anderer Zeit wird die Rebe gesetzt, zu anderer schwellen die knospenbedeckten Reiser, sprossen die Blätter, bildet sich die Traube; zu anderer Zeit wird der Ölzweig gepflanzt, zu anderer birgt er wie im Mutterschooße die Last der Beeren, und S. 389 wieder zu anderer Zeit neigt er sich unter der reichen Fülle seiner Frucht. Ehe aber für jedes seine Zeit kommt, ist das Wachsthum karg, und die zeugende Kraft der Natur hat die Zeit des Werdens nicht in ihrer Gewalt. Du kannst beobachten, wie sie formlos, nackt im Keime liegt, wie sie dann aber unter Blüthen ergrünt, wie sie dann in der Gluthdürre wieder Mutter aller Dinge wird. Wollte sie auch für alle Zeiten sich schmücken, wollte sie niemals den goldenen Schmuck der Saaten, die grünende Pracht der Wiesen ablegen: sie wird doch des Mangels ihrer eigenen Früchte nicht überhoben sein; sie wird nicht im Besitze ihrer Erträgnisse bleiben, die sie wieder zum Zwecke anderer Befruchtung abgegeben.
63. Willst du also unsere Auferstehung nicht im Glauben, auch nicht auf Grund anderer Beispiele annehmen, so wirst du doch sie glauben auf Grund der Erfahrung. Viele Früchte, Wein, Oel, verschiedene Obstarten und andere haben am Schlusse des Jahres die Zeit ihrer Reife: auch uns bezeichnet das Ende der Welt, gleichsam das äußerste Ende des Jahres, die zur Auferstehung passende Zeit. Mit Recht fällt die Auferstehung der Todten mit dem Ende der Welt zusammen, damit nach der Auferstehung eine Rückkehr zu dieser sündigen Welt und Zeit nicht mehr stattfinden könne. Hat ja Christus gerade deßwegen gelitten, um uns von dieser bösen Welt zu befreien, damit die Versuchungen der Welt uns nicht von Neuem überstürzten und so die Wiedergeburt, wenn es eine Wiedergeburt zur Schuld wäre, Unheil statt Segen brächte.
64. Da haben wir also Grund und Zeit für die Auferstehung: den Grund, sofern die Natur sich bei allen Geschöpfen gleich bleibt, also auch beim Menschen allein nicht ausartet; die Zeit, weil Alles am Ende des Jahres zur Frucht wird. Die Zeiten der Welt sind Ein Jahr. Ist das zu verwundern, da sie in Einem Tage zusammengefaßt werden? An Einem Tage führt der Herr die Arbeiter in seinen Weinberg mit den Worten: „Was stehet ihr hier den ganzen Tag müßig?“
65. S. 390 Grund allen Entstehens ist der Same; daß aber auch der menschliche Leib Same sei, lehrt der Völkerapostel. Daraus folgt, daß er auch die Substanz zur Auferstehung einschließt. Wenn dem aber auch nicht so wäre, sollte denn wohl Jemand glauben, es sei für Gott schwierig, wo und wie er es wollte, die Menschen wieder in das Dasein zu rufen, da er doch nur befahl, die Erde solle ohne irgend eine Substanz oder Materie entstehen — und sie entstand!? Blicke den Himmel an, betrachte die Erde! Woher kommt das Gluthfeuer der Sterne? Woher der strahlende Umkreis der Sonne? Woher der Mondball? Woher kommen die Gipfel der Berge, die Härten der Felsen, die schattigen Haine der Wälder? Woher kommt ferner die weit ergossene Luft, das eingeschlossene und überströmende Gewässer? Wenn nun Gott dieses alles aus Nichts gemacht hat („Er sprach, und es ward; er befahl, und es war erschaffen“): warum sollen wir dann anstaunen, daß wiedererstehen könne, was einst gewesen ist? Sehen wir doch, daß geworden ist, was nicht war.
Der heil. Ambrosius nimmt hier die Phönixsage in Übereinstimmung mit seinen Zeitgenossen als in der Wirklichkeit begründet. Die Darstellung des Mythus hat er theils dem Tacitus, theils dem Plinius entlehnt. Die Erscheinung des Vogels Phönix ist aber lediglich ein mißverstandenes Symbol für eine fünfhundertjährige astronomische Epoche, d. h. für den dritten Theil der ägyptischen Sothisperiode. Es liegt auf der Hand, daß in der Meinung des Volkes die jedesmalige Ankunft des Phönix eine besondere Glücksepoche verhieß. Nach Tacit. Annal. VI, 28 wäre er zur Zeit des Kaisers Tiberius unter dem Consulate des Paulus Fabius und Lucius Vitellius in Ägypten erschienen: vielleicht liegt in dem Märchen die Hoffnung auf die baldige Befreiung von dem menschenfeindlichen Tiberius. Plinius berichtet hist. nat. X, 2 von dem Erscheinen aus dem Jahre 36 (ein Jahr vor dem Tode des Tyrannen) und fügt bei, dieser Phönix sei auf dem Comitium aufgestellt (trotz der Selbstverbrennung!) und eine öffentliche Urkunde darüber aufgenommen, obwohl man gewußt, es sei der echte Phönix nicht gewesen. ↩
Man darf hier, ohne dem heiligen Ambrosius in seiner Rechtgläubigkeit zu nahe zu treten, recht wohl annehmen, daß er das tausendste Jahr in Wirklichkeit als die Zeit für das Weltende angenommen: zum Chiliasten macht ihn diese Meinung noch lange nicht. — Man darf aber auch, ohne dem Texte Zwang anzuthun, die Zahl 1000 wegen ihrer inneren Vollkommenheit als Bezeichnung für die Fülle aller Zeit nehmen. So sagt der hl. Augustinus de civit. Dei XX, 7 bei der Erklärung der Stelle aus der Offb. Joh. 20, 1 ff.: „Mille annos pro annis omnibus huius saeculi posuit, ut perfecto numero notaretur ipsa temporis plenitudo.“ Für diese Auffassung spricht das weitere Wort des Ambrosius (im 4. Alinea von hieran gerechnet): „Die Zeiten der Welt sind ein Jahr.“ ↩
