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110. Wenn nun Jemand dieses Abbild Gottes zu schauen verlangt, so muß er Gott lieben, damit er wieder geliebt werde, damit er durch die Beobachtung der göttlichen Gebote nicht Knecht, sondern Freund sei: dann wird er auch eintreten können in die Wolke, darin der Herr ist. Er mache für sich nur zwei durchaus entsprechende Posaunen, getrieben aus bewährtem Silber, d. h. mit kostbaren Worten begabt und geschmückt; denselben sollen nicht schrille, S. 412 schreckenerregende Töne, sondern erhabene Dankesergießungen in ununterbrochenem Jubel entströmen. Der Ruf solcher Posaunen erweckt die Todten; sie werden wieder beseelt, nicht zwar durch den Ton des Erzes, sondern durch das Wort der Wahrheit. Vielleicht sind das jene zwei Posaunen, durch welche im Geiste Gottes Paulus gerufen hat, wenn er sagt: „Ich will mit dem Geiste beten, aber ich will auch verständlich beten: ich will mit dem Geiste singen, aber ich will auch verständlich singen.“1 Das Eine scheint ja ohne das Andere keinen vollen, abgerundeten Ton zu haben.
111. Nicht Allen aber steht es zu, beide Posaunen ertönen zu lassen, wie es auch nicht Allen obliegt, die ganze Gemeine zu versammeln. Das gebührt allein den Priestern, den Dienern Gottes, welchen dieses Vorrecht übertragen ist. Wer immer aber jenen Ton hört und ihm dorthin folgt, wo die Herrlichkeit des Herrn weilt, wer mit vorerwogener Absicht zum Zelte des Bundes kommt: der kann auch die göttlichen Wunderwerke sehen und die entsprechende ewige Heimat für die ganze Reihenfolge seiner Nachkommenschaft verdienen. Dann wird ja der Krieg beendigt, der Feind vertrieben, wenn die Gnade des heiligen Geistes und der Eifer des eigenen Herzens zusammenwirkt.
112. Auch das kann man als heilkündende Posaunen bezeichnen, wenn man mit dem Herzen glaubt und mit dem Munde bekennt; denn „mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, mit dem Munde geschieht das Bekenntniß zum Heile.“2 Mit dieser doppelten Posaune kommt man zu jenem heiligen Lande, nämlich zur Glorie der Auferstehung. Möchten sie also immer dir tönen, damit du immer die Stimme Gottes hörest; möchten dich immer die Sprüche der Engel und Propheten aufwecken, damit du dem Himmlischen zueilest.
113. Daran dachte David, als er in seinem Herzen zu sich sprach: „Ich will hinüber an den Ort des wunderbaren S. 413 Zeltes gehen, bis zum Hause Gottes, unter Jubel und Lobgesang und festlichem Klang.“3 Denn nicht bloß die Feinde werden durch den Klang dieser Posaunen besiegt, es können vielmehr auch die Freuden und die festlichen Tage der Neumonde ohne sie nicht stattfinden. Es kann ja Niemand, der nicht aus den Verheißungen des göttlichen Wortes schöpft, die festlichen Tage der Neumonde mit heller Freude feiern, wenn er nämlich von irdischer Sorge befreit sich dem Lichte Jesu Christi hingeben will. Selbst die Opfer können Gott nicht gefallen, wenn nicht das Bekenntniß des Mundes hinzutritt, welcher in priesterlicher Hingabe das Volk aufzurufen gewohnt ist, zur Erflehung der göttlichen Gnade.
114. Wir wollen darnach den Herrn verkündigen und ihn loben mit Posaunenschall. Nicht gering oder niedrig wollen wir von der Kraft des Schalles denken, überzeugt, daß er das Ohr des Geistes erfüllen und die tiefsten Tiefen des Gewissens erschüttern kann. Nicht das, was Menschen entspricht, wollen wir dabei auf die Gottheit übertragen, auch nicht die Größe der göttlichen Macht nach menschlichen Kräften messen. So wollen wir denn auch nicht fragen, wie Jemand ersteht, mit welchem Leibe er kommt, oder wie das Zerfallene sich wieder einigt und hergestellt wird: alles dieses wird nach göttlichem Befehle geschehen, wie es durch göttlichen Rathschluß festgestellt ist. Es wird ja auch keineswegs das sinnliche Wahrnehmen des Posaunenschalles erwartet; vielmehr wirkt die unsichtbare Macht himmlischer Majestät: denn bei Gott fällt Wollen und Thun zusammen. Nicht der Anstrengung des Auferstehens haben wir nachzuforschen, sondern die Frucht der Auferstehung müssen wir zu erlangen streben. Sie wird um so rascher vollzogen werden, wenn wir von Sünde und Laster befreit die Fülle des geistigen Geheimnisses erlangen; wenn der neugewordene Leib vom Geiste seine Anmuth nimmt, S. 414 und wenn der Geist den Glanz des ewigen Lichtes von Christus entlehnt.
