1.
Geliebteste! Tagtäglich und zu allen Zeiten kommen Gläubige, die über die göttlichen Geheimnisse nachdenken, auf die Geburt unseres Herrn und Erlösers aus einer Jungfrau bleibenden Mutter, so daß eine Seele, die sich zum Bekenntnisse ihres Schöpfers erhebt, mag dies nun in flehentlichen Bitten oder in heißen Dankgebeten oder bei der Darbringung des Opfers sein, nichts häufiger, nichts vertrauensvoller zum Gegenstande innerlicher Betrachtung macht, als die Tatsache, daß Gott, der Sohn Gottes, der von gleich ewigem Vater erzeugt wurde, auch als Mensch zur Welt kam. Allein kein Tag legt und diese im Himmel und auf Erden anbetungswürdige Geburt mehr ans Herz als der heutige. Zu einer Zeit, in der auch im Weltall das Sonnenlicht neu erstrahlt, vermittelt er unseren Sinnen all die Herrlichkeit S. 109dieses wunderbaren Geheimnisses. Denn die Unterredung des Engels Gabriel mit der staunenden Maria, die vom Heiligen Geiste bewirkte Empfängnis, deren Verheißung nicht weniger wunderbar ist als der Glaube daran, kehren nicht bloß in unsere Erinnerung zurück, sondern vollziehen sich gewissermaßen vor unseren leiblichen Augen. Heute ging der Schöpfer der Welt aus jungfräulichem Schoße hervor. Heute wurde jener, der allem Lebenden das Dasein gab, der Sohn derjenigen, die er erschaffen hatte. Heute erschien das Wort Gottes mit unserem Fleische umkleidet und begann jenes Wesen, das niemals menschlichem Auge sichtbar war, sogar mit den Händen greifbar zu werden. Heute lernten die Hirten durch Engelstimmen den Erlöser kennen, der in der Substanz unsres Leibes und Geistes zur Welt kam. Heute wurde vor jenen Männern, die die Vorbilder für die Hirten der Herden des Herrn sind, die Art, wie das Evangelium verkündigt werden soll, im voraus festgesetzt, so daß auch wir mit den himmlischen Heerscharen ausrufen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!“1 .
Lk 2,14 ↩
