1.
Geliebteste! Freilich weist uns beim Nahen des Osterfestes schon die dafür festgesetzte wiederkehrende Zeit auf das vierzigtägige Fasten hin, aber trotzdem sollen auch von unserer Seite noch mahnende Worte hinzukommen! Mögen diese unter dem Beistande des Herrn weder den Frommen lästig noch für die Saumseligen ohne Nutzen sein! Gibt es doch davon bin ich fest überzeugt niemand unter euch, der sich nicht gerne zu einem guten Werke anspornen ließe, zumal die Bestimmung dieser Tage von uns eine gewissenhaftere Erfüllung aller religiösen Pflichten erheischt. Ist ja unsere Natur, über die bis heute der Tod Gewalt hat, voller Unbeständigkeit. Darum kann ihr auch, trotz eifrigsten Strebens nach Tugend, immer wieder etwas zum Rückfall Anlaß geben, wie es ihr auch immer wieder möglich ist, ein Mittel zur Veredelung zu finden. Auch zeigt sich gerade darin die wahre Gerechtigkeit der Vollkommenen, daß sie sich niemals auf ihre Vollkommenheit S. 196etwas zugute tun, damit sie nicht den Zweck ihrer noch nicht vollendeten Pilgerschaft aus dem Auge verlieren und gerade durch ihre Verzichtleistung auf ein Vorwärtsschreiten der Gefahr des Rückschrittes anheimfallen. Weil also, Geliebteste, niemand unter uns so vollkommen und heilig ist, daß hierin nicht noch eine Steigerung möglich wäre, so laßt uns alle zusammen ohne Unterschied des Standes, ohne Rücksicht auf Verdienste, voll frommen Eifers von dem bereits erreichten Standort dem noch nicht errungenen Ziele zustreben! Laßt uns durch eine notwendige Mehrung1 etwas über unser gewohntes Maß hinausgehen! Denn wen man in diesen Tagen seinen Pflichten gegen Gott nicht mit größerem Eifer nachkommen sieht, der zeigt sich auch zu anderen Zeiten nicht fromm genug.
unserer guten Werke ↩
