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S. 224Geliebteste! Die Kraft und die Weisheit des christlichen Glaubens beruht auf der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten. Der läßt keine Pflicht der Frömmigkeit unerfüllt, der bestrebt ist, den Herrn zu ehren und seinem Mitknechte zu helfen. Obwohl wir diese doppelte Liebe, die eigentlich nur eine ist, jederzeit betätigen und immer mehr fördern müssen, so ist es doch unsere Pflicht, sie in diesen Tagen noch bedeutend zu steigern und noch weiter auszudehnen. Darum soll auch das vierzigtägische Fasten, das dem Osterfest vorangeht, in unserem Herzen ein Echo finden, wie es Johannes der Täufer weckte, als er mit den Worten des Propheten Isaias ausrief: „Bereitet den Weg des Herrn, machet eben seine Pfade!“1 . Mögen wir nun an jene unter dem2 Volke denken, die schon längst in den Kampf eingetreten sind, den ihnen das Evangelium auferlegt, und in geistiger Rennbahn unaufhaltsam der Siegespalme zueilen3 , oder an jene, die im Bewußtsein ihrer den Tod bringenden Sünden durch eine Aussöhnung mit Gott Verzeihung zu erlangen suchen, oder endlich an jene, die durch die Taufe des Heiligen Geistes wiedergeboren werden sollen und den Wunsch hegen, den „alten Adam“ auszuziehen und in Christus zu „neuen Menschen“ zu werden4 : an alle ergeht der zeitgemäße und heilsame Ruf: „Bereitet den Weg des Herrn, machet eben seine Pfade!“ Welche Wege und Pfade aber zum Herrn führen, darüber sollen uns die Mahnworte desselben Predigers Aufschluß geben! Bei einer Verheißung der Werke S. 225und Gaben der göttlichen Gnade enthüllte er uns das Endziel jeder künftigen Umgestaltung, indem er seinen obigen Worten noch den Ausspruch des Propheten hinzufügte: „Jedes Tal soll ausgefüllt und jeder Berg und jeder Hügel abgetragen, was krumm ist, soll gerade, und was holprig ist, zu ebenem Wege werden!“5 . Das Tal bezeichnet die Bescheidenheit der Demütigen und der Berg und Hügel den Stolz der Hochmütigen. Weil aber nach dem Zeugnisse der Ewigen Wahrheit „erhöht wird, wer sich selbst erniedrigt, und erniedrigt wird, wer sich selbst erhöht“6 , so wurde mit Recht den Tälern Ausfüllung und den Bergen Abtragung angekündigt. Das Ebene darf nichts Holpriges und das, was gerade sein soll, keine Krümmung an sich haben. Freilich „ist eng und steil der Weg, der zum Leben führt“7 , aber trotzdem wandert der leichten Schrittes auf ihm dahin, dem wahre Frömmigkeit dazu die Kraft verleiht. Auch macht dem das Gehen Freude, dessen Fuß nicht im lockeren Boden des Lasters versinkt, sondern auf dem Felsengrund der Tugend rüstig vorwärts schreitet.
