2.
Jenen aber, Geliebteste, die durch diesen Kampf den ewigen Lohn zu erreichen suchen, legt der schlaue Satan vor allem dadurch Fallstricke, daß er ihren Glauben untergräbt. Wenn er ihre Rechtschaffenheit nicht zu vernichten vermag. Auf einen falschen Weg gerät jeder, der sich von dem Bekenntnisse der Wahrheit abbringen läßt. Beständig geht er in die Irre. Je weiter er sich von dem Lichte des katholischen Glaubens entfernt, desto S. 238näher kommt er der Finsternis. Dies widerfährt in unseren Tagen infolge ihrer Sorglosigkeit auch jenen, die sich vom Geiste einer schon lange widerlegten und verdammten Irrlehre eine alte unsinnige Meinung zu eigen machten und es wagen, die Doppelnatur in Christus zu leugnen1 , indem (nach ihrer Anschauung) entweder die Wahrheit nicht Fleisch angenommen hat oder die Gottheit in einen Menschen verwandelt worden ist. Dann gäbe es, wie Manes lehrt, bei dem keine Auferstehung, bei dem es kein Leiden gibt, oder wäre nach der Behauptung des Apollinaris das göttliche Wort selbst veränderlich und leidensfähig geworden. Eine solche Meinung zu hegen, einer solchen Anschauung bei Christen Gehör zu verschaffen, was heißt das anders, als daß man die Grundlagen unserer Religion selbst zerstört und es S. 239leugnet, daß der wahre Sohn Gottes auch der wahre Sohn des Menschen ist? Dieser allein ist der Erlöser des Menschengeschlechts: so bezeugte es das Gesetz2 , so verhießen es die Propheten3 und so kündeten es alle Vorbilder des Alten Bundes an4 . Dadurch sollte jeder Zweifel schwinden, daß jenes große, allen Jahrhunderten zum Segen gereichende Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit, auf das schon oft und seit langem hingewiesenen worden war, zu der im voraus bestimmten Zeit in Erfüllung gegangen ist. Freilich sind, seitdem „das Wort Fleisch geworden“5 , in Christus Gottheit und Menschheit so zu einer Person vereint, daß bei keiner Handlung eine Trennung der beiden Naturen stattfindet, aber gleichwohl bezeichnet die Wahrheit des Evangeliums den selber, von dem es als Sohn Gottes spricht, gerne und sehr häufig als „Menschensohn“. So kommt es, daß beides (Göttliches und Menschliches) unter dem Namen des Menschensohnes Erwähnung findet, obgleich das, was berichtet wird, zum Teil mit seiner menschlichen, zum Teil mit seiner göttlichen Natur zusammenhängt. (Es geschieht dies), damit der Gläubige, der daran festhalten soll, daß der Herr Jesus Christus aus der Jungfrau Maria geboren wurde und zugleich Gott und Mensch ist, nicht zögert, in Gott die menschliche und im Menschen die göttliche Natur anzuerkennen, so daß also im Worte die wahre Niedrigkeit des angenommenen Menschen und im Fleische die wahre Majestät des den Menschen annehmenden Gottes vorhanden ist.
Aus den folgenden Ausführungen ersieht man, da´Leo hier an die manichäer und an die Anhänger des Apollinaris denkt. Jene wurden seit 377 von der Kirche bekämpft, und die Lehre des Apollinaris fand 4 Jahre später 381 auf dem 2. ökumenischen Konzil von Konstantinopel ihre Verdammung. ↩
Gen 49,10. ↩
Ps 67,34: 68,1.ff; 71,9.ff.; Is 4,2:7,14; 11,1.ff; 42,6.u.a. ↩
Gen 4,3.ff.; Ex 12.3 ff.; Num 21,8.u.a. ↩
Joh 1,14. ↩
