Siebenundzwanzigster Vortrag: Über die Stelle: „Der König Herodes hörte davon, denn der Name Jesus war bekannt geworden, und sprach: 'Johannes der Täufer ist von den Toten auferstanden...'“ bis: „er brachte dessen Haupt auf der Schüssel, gab es dem Mädchen, und das Mädchen gab es der Mutter.“ Mk 6,14-28
S. 154Der gute Hirte bringt die Nächte schlaflos und die Tage in Sorgen zu, damit nicht der schlaue Dieb, damit nicht der Wölfe wilde Verschlagen heit der teuren Herde Verderben oder Schaden bereiten möge. „Der gute Hirte gibt“, wie der Herr sagt, „sein Leben für seine Schafe“1 . Gute Schafe hören aber auch mit aufmerksamem Ohr auf die Stimme ihres Hirten, folgen immer dem Winke ihres Hirten, tun in allem ihres Hirten Willen; sie steigen die Hügel hinan, sie klimmen auf die Höhen, sie wechseln oft die Gegenden. So gelangen sie immer auf weide- und wasserreiche, schattige, geeignete, ruhige Plätze, finden angenehme und genießen liebliche Nahrung. So seid auch ihr, meine Kindlein, der Herde Christi rühmlicher Anteil, bekleidet schon mit schneeigem, himmlischem [Gnaden]Vließe, überaus fruchtbar an zarter Frucht, an himmlischer Nachkommenschaft, schon oft, auf unsere Stimme hörend, an gesunde Plätze, auf heilsame Weiden gelangt. Die in unserer Rede fließenden Wasser haben eurer Seele Glut, eures Durstes Brand gelöscht. Unter dem Schutze unserer Lehre habt ihr mit einiger Muße ausgeruht. Darum achtet auch auf unsere Befehle, höret auf unsere Worte, haltet euch an unsere Handlungsweise! Und nicht nach eurem Willen, sondern nach unserer Anordnung urteilt über unsere Predigt, ob wir nun sprechen von jener Stufe [des Altares] aus, oder S. 155ob wir nach Maßgabe der Zeit vom bischöflichen Stuhle aus predigen.
So kommt herbei als die guten Schäflein, als die teure Herde, als die lieben Kinder, fleißig und ohne stolze Selbstüberhebung, in gläubigem Wettlaufe eilet herbei! Weder der Wechsel des Ortes in solcher Nähe noch die Enge des Raumes mögen euch lässig machen oder Murren in euch erregen! Denn wie das Schaf nie zu seinem Stall kommt, wenn es nach eigener Lust umherschweift, so wird auch der Schüler nie Weisheit erlangen, wenn er nur nach seinem Sinne belehrt sein will. Gewiß wird auch nie ein Kranker die Gesundheit erlangen können, wenn er stets nach seinem Wunsche behandelt wird! Doch weil heute unsere Rede gerichtet ist gegen einen grimmigen Wolf, so will ich zuerst den Hirtenstab ergreifen, und dann wollen wir übergehen zur Lesung des Evangeliums. „Der König Herodes“, heißt es, „hörte davon, denn der Name Jesus war bekannt geworden, und sprach: 'Johannes der Täufer ist von den Toten auf erstanden, und darum sind die Wunderkräfte in ihm wirksam'“2 . Der Tor! Nachdem er ihn im Leben bis in den Tod verfolgte, denkt er nach dessen Tod gottesfürchtig von ihm! „Johannes ist auferstanden“, sagt er. Aber ohne es zu wissen, bekennt er, dass der in Christo wieder auferstehe, der für Christus sein Blut vergießt. Was hat dein Schwert, Herodes, bewirkt? Was hat deine Grausamkeit genützt? Was hat deine Gottlosigkeit erreicht, wenn, wie du selbst sagst, der wieder zurückkehrte zu Wunder taten, der wieder aufstand zu göttlichen Werken, welchen du in deiner Wut schon vernichtet zu haben glaubst? Johannes stand wieder auf, wie du selbst bekennst. Nicht seine Person, sondern nur, was schwach an ihm war, ging unter; nicht dieser Johannes, sondern was an ihm sterblich war, erlag diesem Tode. Die Todesstrafe war nur eine Täuschung; der Scharfrichter selbst ist zum Gespött geworden; der S. 156Urteilsspruch des unseligen Richters selbst ist vergeblich, denn er hat den Getöteten nicht vernichtet, sondern erhöht!
„Johannes ist von den Toten auferstanden, und darum sind die Wunderkräfte in ihm wirksam.“ Obwohl ein Feind des Gesetzes, hatte er [Herodes] doch aus dem Gesetz die verheißene Auferstehung der Toten kennen gelernt. Wenn er also wußte, dass Johannes wieder auferstehen werde, warum hat er ihn denn in seiner Wut getötet? Wenn er wußte, dass jener zum Gipfelpunkt göttlicher Kraft, zur höchsten Machtherrlichkeit durch einen solchen Tod erhoben würde, warum wollte er sich denn zum Urheber eines solchen Todes machen? Aber immer liegt ja im Fieber die Gottlosigkeit; vom Wahnsinn ist ja immer die Raserei befallen; die Wut kennt ja kein Freisein vom Wahnsinn; denn gegen sich selbst wütet sie, so oft sie nach einem anderen zielt; sich selbst straft sie, wenn sie den Unschuldigen schlägt; sich selbst wird sie zum Todesverderben, sobald sie grausam ist wider den Gerechten! Siehe! Johannes lebt nun, wie du selbst sagst, in Christus. Zu deiner Bestrafung kehrt der zurück, der durch das Geschenk des Himmels gekommen war zum Heile der Menschen! „Andere aber sprachen: 'Er ist Elias'; wieder andere sagten: 'Er ist ein Prophet oder wie einer der Propheten.' Als Herodes dies hörte, sagte er: 'Johannes, den ich enthaupten ließ, dieser ist von den Toten auferstanden'“3 . Zwar in feindseligem, aber wahrem Sinne wird er selbst Zeuge seines Verbrechens, Bekenner seines Frevels, Ankläger seiner eigenen Schandtat. „Johannes, den ich enthaupten ließ, dieser ist von den Toten auferstanden.“ Er spricht die Wahrheit; denn gleichwie in Christo die Seinigen wieder auferstehen, so leidet auch Christus in den Seinigen selbst. Und so wie die Ehre des Hauptes sich erstreckt auf die Glieder, so fließt auch die Strafe der Glieder über zum Schmerze des Hauptes, zu des Hauptes Schmach. „Johannes, den ich enthaupten ließ, dieser ist es.“ Dieser vorsichtige König4 der vortreffliche Richter, der S. 157Hüter der Sitten, der Wächter der Ordnung, der Rächer der Unschuld, der Bestrafer der Verbrechen! Dass er den Johannes enthaupten ließ, sagt er; aber warum er ihn enthaupten ließ, verschweigt er, damit die Schande einer solch schrecklichen Tat nicht beflecke seine königliche Macht. Aber der Evangelist überliefert es uns, um durch die Schande des Mörders den Ruhm des Getöteten zu erheben.
„Denn“, heißt es, „Herodes hatte selbst aufgeschickt und Johannes ergreifen und in das Gefängnis werfen lassen wegen der Herodias, der Frau seines Bruders Philippus, weil er sie geheiratet hatte. Denn Johannes hatte zu Herodes gesagt: 'Es ist dir nicht erlaubt, deines Bruders Weib zu haben!'“5 Herodias, die zweier Brüder Weib in verbrecherischer Liebe sein wollte, um durch ehebrecherische Liebe [eheliche] Liebe zu verletzen, um an eine Herodias einen Herodes zu ketten, damit sie auch des gleichen Namens sich erfreuten, die sie durch Frevel, Sitten [d. i. Sittenlosigkeit] und Lebensart sich gleich gewesen, damit der gleiche Name verbinde, die schon verbunden hatte die Schande des Verbrechens. Diese Herodias also trachtete dem Johannes nach dem Leben. Herodes vermochte der Ehebrecherin Leidenschaft nicht zu besiegen, hinderte aber auch nicht der Ehebrecherin Freveltat. Jene lechzte nach dem Tode des Anklägers, damit er sie nicht anklage; er aber, selbst in den Banden der Buhlerin liegend, läßt, um ihr zu gefallen, den Gerechten fesseln und wirft ihn nur ins Gefängnis; denn er, der Schuldige, vermag nicht so leicht über den Unschuldigen das Todesurteol zu fällen. „Als nun“, heißt es weiter, „ein gelegener Tag kam, gab Herodes ein Geburtstagsmahl den Großen und Kriegsobersten und Vornehmsten vom Galiläa. Und da die Tochter der Herodias selbst eingetreten war und tanzte und dem Herodes und seinen Tischgenossen gefiel, sprach der König zu dem Mädchen: 'Verlange von mir, was du willst, und ich will es dir geben!' Und er S. 158schwur ihr: 'Was du immer verlangen wirst, will ich dir geben, selbst die Hälfte meines Reiches!'“6 . Der undankbare, unmenschliche König, der für eine solche Heldentat, für eine so rühmliche Leistung, für eine so denkwürdige Handlung nicht einmal sein ganzes Reich, sondern nur die Hälfte hingibt! Wozu bewahrte er sich noch einen Teil, der er nach solcher Ruhmestat seines Hauses, nach solcher Heiligkeit seiner Familie, nasch solchem Beispiel der Keuschheit nicht mehr existieren, gesehen werden und leben durfte!
Jene Tochter also des Verbrechens, und nicht der Natur, eilte nun hin, nicht so sehr zu ihrer Mutter, als zu dem Auswurf aller Schlechtigkeit. Sie, die ganz verweichlicht und ganz entfesselt war, foh rasend und blutdürstend wieder zurück, und, um einen dichterischen Kunstausdruck zu gebrauchen: nachdem sie vollendet hatte die gemeinste Komödie, spielte sie nunmehr die schändliche Tragödie! „Sie ging nun hinaus und sagte zu ihrer Mutter: 'Was soll ich verlangen?' Aber diese sprach: 'Das Haupt Johannes des Täufers'. Und wie sie sogleich eilends zum König trat, begehrte sie und sprach: 'Ich will, dass du mir sogleich auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers gebest!' Und der König ward sehr traurig. Um des Eidschwures und der Tischgenossen willen wollte er sie nicht betrüben, sondern sandte einen Scharfrichter und hieß ihn, dessen Haupt auf einer Schüssel bringen. Und der enthauptete ihn im Kerker und brachte dessen Haupt auf einer Schüssel, gab es dem Mädchen, und das Mädchen gab es der Mutter“7 . So richtet der Geist, der beschwert ist vom Rausch, der erfüllt ist vom Wein, der ganz untergegangen war im Schiffbruch der Trunkenheit! „Ich will, dass du mir sogleich auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers gebest.“ Das Schlangengezücht geht immer auf das Haupt des Menschen los, weil es weiß, dass diesem sein eigener Kopf verfallen ist seit dem ersten S. 159Gottesurteil, das der Herr sprach: „Er wird betrachten dein Haupt, und du wirst lauern auf seine Ferse!“8
Lange hält uns die Ausführlichkeit der Lesung hin und zu sehr führt uns in die Tiefe die unerschöpfliche Tiefe dieser Stelle. Darum wollen wir das, was noch folgt, für heute verschieben, um nicht, wenn wir zu sehr dem Ende der Rede zueilen, das, was noch näher zu besprechen ist, zu übergehen. Nur dies möchten wir euch zum Schlusse unserer Rede noch anvertrauen, dass die Schlange vergeblich sich beeilte; denn die ganze Brut der alten Schlange hatte dieser unser Johannes schon vernichtet und ganz unschädlich gemacht durch sein im Tode vergossenes Blut!
