Fünfundfünfzigster Vortrag: Erster Vortrag über das apostolische Glaubensbekenntnis.
S. 297Der hl. Isaias, ebenso Evangelist wie Prophet, klagt, dass er unreine Lippen habe und weint, dass er wohne inmitten des Volkes, das unreine Lippen habe, indem er spricht: „O ich Unseliger, dass ich befleckt bin, dass ich ein Mensch mit unreinen Lippen, wohne inmitten eines Volkes, das unreine Lippen hat, und den König, den Herrn der Heerscharen, mit meinen Augen geschaut habe!“1 . Eines menschlichen Leidens wegen ist er erschüttert, weil er das, was er von Gott wahrnimmt und sieht, nicht sagen, nicht mitteilen, nicht bekennen kann. So beschränkt ist das Fleisch, dass sein Geist die Lippen gefesselt hält, dass nur eine kleine Zunge der Dolmetscher des Geistes ist. Im Fleische glüht eingeschlossen das Feuer [des Geistes], macht heiß das Blut in den Adern, entflammt das Herz, macht aufwallen das Mark, setzt das ganze Innere des Menschen in Brand, weil der Mensch nicht imstande ist, das, was er mit liebvollem Geiste betrachtet, mit dem Munde auszusprechen, über die Lippen zu bringen, mit den Lippen auszudrücken und so in vollkommener Rede vorzutragen. Das ist der Grund, dass Isaias, als er den König des Himmels, d. i. Christum, sah, als er in lichtvoller Erscheinung sah, dass er der Herr der Heerscharen sei, seine und seines Volkes unreine Lippen beweint, weil ebenso wie das Bekenntnis der Gottheit Christi die Herzen erleuchtet, den Mund reinigt, die Lippen entsühnt, so die Unterlassung der Anerkennung der Majestät Christi sie befleckt. S. 298Doch laßt uns vernehmen, was der Seufzer des Propheten ihm genutzt hat. „Da wurde einer von den Seraphim gesandt“, heißt es, „der in seiner Hand hielt eine Kohle, die er mit der Zange von dem Altar genommen hatte. Und er berührte meinen Mund und sprach: 'Siehe, dies hat deine Lippen berührt und deine Ungerechtigkeit hinweggenommen und deine Sünde vollständig gesühnt'“2 Es ist hier nicht angebracht zu sagen, warum nur einer geschickt wird, und wer der war, der geschickt wird, und wie er ist, der die Kohle des himmlischen Feuers so unerschrocken in seiner Hand trägt, ja durch eine Berührung so kühlte, dass sie des Propheten Lippen reinigte, ohne sie zu versengen.3
Vielmehr wollen wir mit der ganzen Liebesreue unseres Herzens reuig bekennen, dass wir elend sind in diesem unserem erbärmlichen Fleische; wir wollen mit frommen Seufzern beweinen, dass auch wir unreine Lippen haben, damit jener Seraphim mit der Zange des Gesetzes der Gnade feurig glühend uns bringe das Geheimnis des Glaubens, das er von dem himmlischen Altare nimmt, und in so milder Läuterung unsere Lippen berühre, unsern Unglauben entferne, unsere Sünden tilge und unsern Mund so entzünde zur Glut des vollen Bekenntnisses, dass es sei eine Flamme der Heilung, nicht des Schmerzes. Wir wollen auch bitten, dass zu unsern Herzen gelangen möge jene Glut der Kohle, damit wir von so süßen Geheim nissen nicht nur in unsern Lippen den Geschmack, sondern auch in unsern Sinnen und unserm Geiste die ganze Sättigung empfangen, und damit auch wir, wie Isaias nach der Reinigung seiner Lippen die unaussprechliche Geburt der Jungfrau verkündete, in der er sprach: „Sieh, die Jungfrau wird empfangen in ihrem Schoße und einen Sohn gebären“4 , verkünden das Geheimnis des Leidens und die Herrlichkeit der Auferstehung. S. 299„Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater.“ Mit Recht bekennt ihr heute euren Glauben an Gott, da ihr euch freut, dass ihr verlassen habt die Götter und Göttinnen, die verschieden von Geschlecht, zahllos wild durcheinander, wegen ihrer Menge dem Volke angenehm, nichtswürdig in ihrer Art, durch ihren Ruhm berüchtigt, sehr groß in Freveln, ausgezeichnet sind durch Verbrechen und einzigartige Schandtat, die selbst anklagten die Inschriften auf den Gräbern. Denn es muß doch ein Elend, ein Schmerz und ein Unglück5 sein, wenn ihr jetzt eben so viele und so große zu Knechten habt, wie ihr sie bis dahin als Herren erduldet habt. Aber jetzt freut euch, dass ihr zu dem einen, lebendigen, wahren, einzigen, aber nicht einsamen6 Gott gekommen seid, indem ihr sprecht: „Ich glaube an Gott den Vater“. Denn der muß den Sohn bekennen, der den Vater nennt; denn wer „Vater“ genannt werden, „Vater“ heißen will, zeigt auch durch seine Güte, dass er einen Sohn hat, den er nicht aus der Zeit empfing, nicht in der Zeit zeugte, nicht für die Zeit annahm.
Die Gottheit kennt keinen Anfang, kein Ende, weiß nichts von dem Später, da sie keinen Untergang kennt. Gott gebiert den Sohn nicht unter Wehen, sondern offenbart ihn durch seine Kraft, und nicht geht der Zeugungsprozeß außer ihm vor sich, sondern in sich zeugt er, weil er in ihm ist. Während er in sich ist, verkündet und offenbart er.7 Aus dem Vater geht der Sohn hervor, nicht geht er von ihm weg8 ; auch nicht um dem Vater zu folgen, ging er aus dem Vater hervor, sondern um immer im Vater zu bleiben. Höre, was Johannes sagt: „Dieser [der Logos] war im Anfange“9 , und an einer andern Stelle: „Was S. 300von Anfang an war“10 . Was immer da war, kam nicht hinzu; was [immer] da war, von dem ist es klar, dass es keinen Anfang gehabt hat: „Ich bin“, heißt es, „der erste und der letzte“11 . Der erste ist nicht nach einem andern; der letzte hat niemand mehr hinter sich. Aber wenn er so spricht, schließt er den Vater nicht aus, sondern in sich und in dem Vater das Ganze ein. Doch laßt uns zum Folgenden übergehen. „Und an Christum Jesum, seinen einzigen Sohn, unsern Herrn.“ Wie die Könige genannt werden nach ihren Titeln, ihren Triumphen, und ihre zahllosen Beinamen erwerben von den Namen der unterworfenen Völker12 , so nennt sich Christus nach dem Titel seiner Würde. Von dem Chrisma heißt er nämlich Christus, da er das Öl der Gottheit als ein gütiger Mittler eingoß in die Glieder der Sterblichen, die schon vertrocknet waren. Und wie von dem Chrisma Christus abgeleitet ist, so wird er Jesus genannt von [seinem Amte als] Heiland, da er uns deshalb das Salböl der Gottheit eingoß, damit durch ihn den Kranken sichere Gesundheit, den Verlorenen die Heilung verliehen werde. „Und an Christum Jesum, seinen eingeborenen Sohn“, weil, wenn [Gott Vater] auch viele Söhne hat durch Gnade, doch dieser von Natur aus nur der eine und einzige ist. „Unsern Herrn“, der uns, die er aus der Knechtschaft so vieler und so grausamer und so schändlicher Herren befreite, suchte, nicht um uns wieder zu Knechten zu machen, sondern um uns freizulassen zur ewigen Freiheit. „Der geboren ist aus dem Heiligen Geiste.“
So, gerade auf diese Weise wird Christus für dich, Mensch, geboren, indem er die Ordnung der Natur ändert, damit dir ein neuer Aufgang im Leben gegeben werde, wo dir sonst der alte Untergang im Tode immer geblieben wäre. S. 301„Der geboren ist aus dem Heiligen Geiste von der Jungfrau Maria.“ Wo der [Hl.] Geist erzeugt, wo die Jungfrau gebiert, geschieht alles nach göttlicher Weise, nichts nach Menschenart. Das ist keim Raum für Schwäche, wo sich Kraft mit Tugend vereint. Im Schlummer schlief Adam13 , damit von dem Manne die Jungfrau genommen würde. Nun staunt die Jungfrau14 , dass der Mann aus der Jungfrau wiederhergestellt werden sollte. Was kann bei einer so ganz einzigartigen Geburt die Natur für sich in Anspruch nehmen, wo sie sieht, dass ihre Ordnung umgeworfen, ihre Rechte verändert werden, wo sie merkt und staunt, dass der Schöpfer selbst ihr Kind geworden ist! Dem Ungläubigen mag dies wertlos erscheinen15 , dem Gläubigen ist es ein großes Geheimnis. „Der unter Pontius Pilatus gekreuzigt und begraben wurde.“ Du hörst des Richters Namen, damit du auch die Zeit des Leidens erfährst. Du hörst von seinem Kreuzestod, damit du erkennst, dass uns das verloren gegangene Heil durch das, wodurch es verloren ging, wiederhergestellt wurde16 und damit du das Le ben der Gläubigen hangen siehst, wo der Tod der Ungläubigen gehangen hat. Du hörst von seinem Begräbnis, damit nicht der Tod für scheintot gehalten werde. Ein Werk göttlicher Kraft ist es, wenn der Tod durch den Tod getötet wird17 , wenn den Urheber des Lebens sein eigenes Schlachtmesser durchbohrt, wenn der Räuber gefangen wird durch seine eigenen Leute, die Unterwelt zerstört wird durch das Leben, das sie verschlang.
„Der am dritten Tage wieder auferstanden ist von den Toten.“ Die drei Tage, die er im Grabe liegt, S. 302widmet Christus den drei Wohnungen zur Rettung: der Unterwelt, der Erde, dem Himmel: um zu erneuern, was im Himmel18 , um wiederherzustellen, was auf der Erde, um zu erlösen, was in der Unterwelt ist, zugleich um in dem Geheimnis der drei Tage den Menschen die gnadenreiche Lehre von der Dreifaltigkeit mitzuteilen. „Der aufgefahren ist in die Himmel.“ Er fuhr auf zum Himmel, nicht um sich in den Himmel wieder zurückzuversetzen, da er ja immer im Himmel geblieben war, sondern um dich hinzubringen, den er von den Fesseln der Unterwelt befreit und erlöste. Erkenne, Mensch, woher [du] erlöst, wohin du durch Gott erhoben bist, damit du ebenso feststehest in himmlischen Dingen, wie du [vorher] immer schwach hin und her wanktest auf der Erde. „Der sitzt zur Rechten des Vaters.“ Aber der Vater hat doch nichts zu seiner Linken! Unser Bekenntnis bezeichnet nicht das räumliche Sitzen19 , sondern die Macht: Gott kennt keinen Ort, die Gottheit hat nichts zur Linken. „Von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Dass er die Lebendigen richtet, mag angehen. Aber wie wird er die Toten richten können? [Darauf ist zu sagen, dass] diese [Toten] leben, wenn wir sie auch als tot ansehen. Darum ja bekennt ihr, dass die auferstehen werden zum Gerichte, die der Unglaube vernichtet glaubt, damit die Toten wie die Lebendigen in gleicher Weise Rechenschaft ablegen über ihre Taten und ihr Leben. „Ich glaube an den Heiligen Geist.“ Wenn du das Geheimnis der Menschwerdung20 bekannt hast, mußt du auch die Gottheit des Geistes bekennen, damit volle Einheit der Dreifaltigkeit, die gleich ist in allem und durch alles im Vater, in dem Sohne und dem Hl. Geiste, in unserm Bekenntnis bewahrt und S. 303festgehalten werde durch die ungetrübte Wahrheit unseres Glaubens. „Die heilige katholische Kirche.“ Weder können von dem Haupte die Glieder, noch von dem Bräutigam die Braut getrennt werden. Vielmehr wird durch eine solche Verbindung [Gott und die Kirche] ein Geist, ja Gott alles und in allem.
Der also glaubt an Gott, der in [dem Glauben an] Gott die heilige Kirche bekennt. „Nachlaß der Sünden.“ Sich selbst gibt Verzeihung der Sünden, der bekennt, dass ihm die Sünden nachgelassen werden können durch Christus. „Auferstehung des Fleisches.“ Du tust wohl daran, wenn du glaubst, dass du durch Gott wieder von den Toten auferstehen kannst, da ja für ihn sich immer die Elemente erheben: die Zeit aus der Zeit, der Tag aus der Nacht, der Samen aus dem Grabe. Und so wirst du auch nicht untergehen können, da ja auch die übrigen Geschöpfe wieder aufleben. Und nicht schwer kann es für Gott sein, aus dir, einem Greise, das zu machen, was du immer machst aus dem Samen. Nämlich: Leben.21 . „Und ein ewiges Leben.“ Dieser Glaube, dieses Geheimnis ist nicht dem Papier anzuvertrauen, nicht mit Buchstaben zu schreiben, weil Papier und Buchstabe mehr Schuldverschreibung22 als Gnade verkünden. Wo aber die Gnade Gottes ist, Gottes Geschenk gegeben ist, genügt zum Vertrag der Glaube, die Tiefe des Herzens für das Geheimnis. Der göttliche Richter soll kennen dies Symbol des Heils, diesen Vertrag des Lebens; ein falscher Zeuge23 soll es nicht wissen. Bezeichnet euch mit dem Zeichen des Kreuzes. Der Herr selbst, unser Gott, behüte euren Sinn, euer Herz S. 304und möge euch in dem, was er von euch verlangt, zur Seite stehen als gütiger Helfer.
Is 6,5 LXX ↩
Is 6,6f. ↩
Wortspiel:purget perurat ↩
Is 7,14 ↩
für die Götter, die im Herzen der Gläubigen gestürzt sind ↩
solum, sed non solitarium Deum... Die Erklärung gibt das Folgende ↩
Die Stelle ist möglichst wörtlich übersetzt. Redner gefällt sich hier und im Folgenden in möglichst kurzen und scharfen Antithesen. Neo praeter se facit, quod ex se est, sed generat; dumque in se est, aperit et revelat. ↩
precessit Filius, non recessit d. h. er bleibt mit ihm vereinigt ↩
Joh 1,2 ↩
1 Joh 1,1, eine recht eigentümliche Verwendung einer Schrift stelle ↩
Is 44,6. Offb 22,13 ↩
vgl. die Beinamen Numidicus, Parthicus, Dacicus u. a. ↩
Gen 2,21 ↩
Lk 1,29 ↩
vgl. 1 Kor 1,23 ↩
Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen [Gen 2,17] wird gleichgesetzt dem Lebensbaum, an dem Christus hing ↩
cum mors morte moritur ↩
d. i. um wieder Besitz von seiner Herrlichkeit zu nehmen ↩
ich lese comsessus loca statt concessus loca ↩
susceptae carnis sacramentem ↩
Beachte die Assonanz:de sene de semine. ↩
Migne hat causa; Pauli liest cauta; letzteres ist wohl richtig. ↩
d. i. der Heide, der Ungläubige. Anspielung auf die Arkandisziplin ↩
