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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
23. Über die Erde, aus der Varro eine Göttin macht, weil der Geist der Welt, den er für Gott hält, auch diesen untersten Teil seines Leibes durchwalte und ihm göttliche Kraft verleihe.
Ohne Zweifel ist die Erde ein Einzelding; wir sehen sie zwar mit einer Unzahl lebender Wesen bevölkert, aber sie ist für sich ein wichtiges Glied unter den Elementen und der unterste Teil der Welt. Warum macht man aus ihr eine Göttin? Weil sie fruchtbar ist? Warum sind dann nicht vielmehr die Menschen Götter, da sie die Erde durch Anbau noch fruchtbarer machen, jedoch nicht, indem sie sie anbeten, sondern indem sie sie pflügen. Doch nicht, erwidert man, sondern der Teil der Weltseele, der sie durchdringt, macht sie zur Göttin. Als ob die Seele nicht viel klarer in den Menschen in die Erscheinung träte, wo deren Existenz gar nicht in Frage steht; und doch hält man die Menschen nicht für Götter, und sie geben sich, was sehr zu beklagen ist, in merkwürdiger und unwürdiger Verblendung der Verehrung und Anbetung von Wesen hin, die keine Götter sind und hinter ihnen an Gutheit zurückstehen. Und zwar behauptet Varro in dem erwähnten Buch über die auserlesenen Götter, daß sich die Seele im ganzen Weltall dreifach abstufe; die erste Stufe bestehe darin, daß die Seele alle Teile des Körpers, die ein Leben haben, durchdringt, selbst aber keine Empfindung hat, sondern nur die Kraft zum Leben mitteilt; diese Kraft, sagt er, ergieße sich in unserm Leibe in die Knochen, Nägel und Haare; wie auch in der Welt die Bäume ohne Empfindung Nahrung aufnehmen, wachsen und in ihrer Art Leben haben; auf der zweiten Stufe habe die Seele Empfindung; diese Kraft teile sich mit den Augen, den Ohren, der Nase, dem Mund und dem Gefühl; die dritte Stufe sei die höchste, die, auf welcher die Seele Geist genannt wird, unter dessen Fähigkeiten der Verstand Band 1, S. 365die oberste Stelle einnimmt; an dieser Stufe nehmen unter allen sterblichen Wesen nur die Menschen teil. Diesen Teil der Weltseele nennt er Gott, bei den Menschen aber heiße er Genius. Es gebe ferner auf der Welt Steine und das Erdreich, wie wir es vor Augen haben; sie sind nicht Träger von Empfindung, sind also gleichsam die Knochen und Nägel Gottes; Sonne, Mond und Sterne dagegen, die wir wahrnehmen und durch die Gott wahrnimmt, seien seine Sinne; der Äther sodann sein Geist; dessen Kraft dringe zu den Gestirnen und mache sie zu Göttern; und was sich durch die Gestirne über die Erde ergießt, sei die Göttin Tellus; was aber von dort in Meer und Ozean überströme, sei der Gott Neptunus.
Und nun möge sich Varro zurückwenden von dieser Theologie, die er für die natürliche hält, auf die er abgeschweift ist, wie um ermüdet auszuruhen von seinen Wirr- und Irrgängen; er wende sich zurück, sage ich, zurück zur staatlichen Theologie; dort will ich ihn noch festhalten, über sie handle ich vorerst noch. Ich will hier nicht einwenden, daß das Erdreich und die Steine, wenn sie unseren Knochen und Nägeln zu vergleichen sind, ebenso wie der Empfindung, auch des Verstandes ermangeln; oder daß es, wenn man unseren Knochen und Nägeln deshalb Verstand zusprechen wollte, weil sie sich am Menschen finden, der Verstand hat, ebenso töricht wäre, Steine und Erdreich Götter zu nennen, wie es töricht wäre, die Knochen und Nägel an uns Menschen zu nennen. Das wird etwa mit den Philosophen auszumachen sein; hier dagegen gilt mir Varro noch als Politiker. Es wäre nämlich denkbar, daß er auch bei diesen Ausführungen, obwohl er sich den Anschein gibt, als wolle er damit sein Haupt für einen Augenblick zu der scheinbaren Freiheit der natürlichen Theologie erheben, doch die staatliche Theologie, die er ja in diesem Buche behandelt und ex professo behandelt, im Auge gehabt und diese Ausführungen in der Absicht gemacht hätte, die alten Römer oder andern Staaten gegen die Anschauung in Schutz zu nehmen, als hätten sie ohne Grund die Tellus und den Neptunus verehrt. Wohl aber ist hier folgende Einwendung am Platz: Warum bildete Band 1, S. 366der Teil des Weltgeistes, der die Erde durchdringt, die doch etwas Einheitliches ist, nicht auch lediglich die einzelne Göttin, die er als Tellus bezeichnet? Und wenn das der Fall wäre, wo bliebe dann Orcus, der Bruder Jupiters und Neptuns, der Dispater, wie er heißt? wo dessen Gemahlin Proserpina, die nach einer anderen, im nämlichen Werke ausgesprochenen Meinung nicht die Fruchtbarkeit der Erde1, sondern der untere Teil der Erde sein soll? Und wenn man sich darauf bezieht, daß ein Teil des Weltgeistes, indem er den oberen Teil der Erde durchdringt, den Gott Dispater bilde, und indem er den unteren Teil durchdringt, die Göttin Proserpina, was ist dann die Tellus? Das Ganze, was sie gewesen ist, wurde ja in einer Weise in zwei Teile und Götter zerlegt, daß sie als die dritte nicht mehr existieren und keinen Platz mehr finden kann; man müßte nur sagen, die Götter Orcus und Proserpina zumal seien die eine Göttin Tellus und es seien also nicht mehr drei Götter, sondern entweder eine Göttin oder zwei Gottheiten; und doch redet man von dreien, glaubt man an drei, verehrt man drei mit eigenen Altären und Tempeln, eigenen Opfern und Bildnissen und Priestern und demnach auch mit eigenen trügerischen Dämonen, die die preisgegebene Seele schänden. Weiter soll man uns Aufschluß geben, welchen Teil der Erde ein Teil des Weltgeistes durchdringe, daß daraus der Gott Tellumo entsteht. Nicht so, sagt Varro, sondern ein und dieselbe Erde hat eine zweifache Kraft, eine männliche, sofern sie Samen hervorbringt, und eine weibliche, sofern sie die Samen aufnimmt und ernährt; deshalb werde sie von der weiblichen Kraft Tellus, von der männlichen Tellumo genannt. Warum fügen dann die Priester, wie Varro selbst aussagt, noch zwei Götter hinzu und opfern vier Göttern, der Tellus, dem Tellumo, dem Altor und dem Rusor? Von Tellus und Tellumo war schon die Rede. Warum auch dem Altor? Weil aus der Erde, sagt er, alles, was geboren ist, seine Nahrung zieht. Warum dem Rusor? Weil alles ebendahin wieder zurückkehrt, heißt es.
Vgl. oben K. 20. ↩
Edition
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De civitate Dei (CCSL)
Caput XXIII: De Terra, quam Varro deam esse confirmat, eo quod ille animus mundi, quem opinatur deum, etiam hanc corporis sui infimam partem permeet eique uim diuinam inpertiat.
Nempe una est terra, quam plenam quidem uidemus animalibus suis; uerumtamen ipsam magnum corpus in elementis mundique infimam partem, cur eam uolunt deam? an quia fecunda est? cur ergo non magis homines di sunt, qui eam fecundiorem faciunt excolendo; sed cum arant, non cum adorant? sed pars animae mundi, inquiunt, quae per illam permeat, deam facit. quasi non euidentior sit in hominibus anima, quae utrum sit nulla fit quaestio; et tamen homines di non habentur et, quod est grauiter dolendum, his, qui di non sunt et quibus ipsi meliores sunt, colendis et adorandis mirabili et miserabili errore subduntur. et certe idem Varro in eodem de dis selectis libro tres esse adfirmat animae gradus in omni uniuersaque natura: unum, qui omnes partes corporis, quae uiuunt, transit et non habet sensum, sed tantum ad uiuendum ualetudinem; hanc uim in nostro corpore permanare dicit in ossa, ungues, capillos; sicut in mundo arbores sine sensu aluntur et crescunt et modo quodam suo uiuunt: secundum gradum animae, in quo sensus est; hanc uim peruenire in oculos, aures, nares, os, tactum: tertium gradum esse animae summum, quod uocatur animus, in quo intellegentia praeminet; hoc praeter hominem omnes carere mortales. hanc partem animae mundi dicit deum, in nobis autem genium uocari. esse autem in mundo lapides ac terram, quam uidemus, quo non permanat sensus, ut ossa, ut ungues dei; solem uero, lunam, stellas, quae sentimus quibusque ipse sentit, sensus esse eius; aethera porro animum eius; cuius uim, quae peruenit in astra, ea quoque facere deos, et per ea quod in terram permanat, deam Tellurem; quod autem inde permanat in mare atque Oceanum, deum esse Neptunum. redeat ergo ab hac, quam theologian naturalem putat, quo uelut requiescendi causa ab his ambagibus atque anfractibus fatigatus egressus est; redeat, inquam, redeat ad ciuilem; hic eum adhuc teneo, tantisper de hac ago. nondum dico, si terra et lapides nostris sunt ossibus et unguibus similes, similiter eos intellegentiam non habere, sicut sensu carent; aut si idcirco habere dicuntur ossa et ungues nostri intellegentiam, quia in homine sunt qui habet intellegentiam, tam stultum esse qui hos in mundo deos dicit, quam stultus est qui in nobis ossa et ungues homines dicit. sed haec cum philosophis fortassis agenda sunt; nunc autem istum adhuc politicum uolo. fieri enim potest, ut, licet in illam naturalis theologiae ueluti libertatem caput erigere paululum uoluisse uideatur, adhuc tamen hunc librum uersans et se in illo uersari cogitans, eum etiam inde respexerit et hoc propterea dixerit, ne maiores eius siue aliae ciuitates Tellurem atque Neptunum inaniter coluisse credantur. sed hoc dico: pars animi mundani, quae per terram permeat, sicut una est terra, cur non etiam unam fecit deam, quam dicit esse Tellurem? quodsi ita fecit, ubi erit Orcus, frater Iouis atque Neptuni, quem Ditem patrem uocant? ubi eius coniunx Proserpina, quae secundum aliam in eisdem libris positam opinionem non terrae fecunditas, sed pars inferior perhibetur? quodsi dicunt animi mundani partem, cum permeat terrae partem superiorem, Ditem patrem facere deum; cum uero inferiorem, Proserpinam deam: Tellus illa quid erit? ita enim totum, quod ipsa erat, in duas istas partes deosque diuisum est, ut ipsa tertia quae sit aut ubi sit inuenire non possit; nisi quis dicat simul istos deos Orcum atque Proserpinam unam deam esse Tellurem et non esse iam tres, sed aut unam aut duos; et tamen tres dicuntur, tres habentur, tres coluntur aris suis, delubris suis, sacris, simulacris, sacerdotibus suis, et per haec etiam fallacibus prostitutam animam constuprantibus daemonibus suis. adhuc respondeatur, quam partem terrae permeet pars mundani animi, ut deum faciat Tellumonem? non, inquit, sed una eademque terra habet geminam uim, et masculinam, quod semina producat, et femininam, quod recipiat atque nutriat; inde a ui feminae dictam esse Tellurem, a masculi Tellumonem. cur ergo pontifices, ut ipse indicat, additis quoque aliis duobus quattuor dis faciunt rem diuinam, Telluri, Tellumoni, Altori, Rusori? de Tellure et Tellumone iam dictum est. Altori quare ? quod ex terra, inquit, aluntur omnia quae nata sunt. Rusori quare ? quod rursus, inquit, cuncta eodem reuoluuntur.