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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
8. Wie es Kain möglich war, schon in den Anfängen des Menschengeschlechtes eine Stadt zu gründen.
Hier dagegen obliegt mir wohl zunächst, den Geschichtsbericht in Schutz zu nehmen, damit nicht die Schrift unglaubwürdig erscheine. Nach ihr hätte nämlich ein Einzelmensch eine Stadt erbaut zu einer Zeit, da es auf Erden dem Anschein nach nur vier oder vielmehr, nach dem Brudermord, nur drei Männer gab, nämlich den ersten Menschen, den Vater aller, dann Kain selbst und dessen Sohn Enoch, nach welchem die Stadt benannt worden ist. Aber wer sich daran stößt, sollte doch bedenken, daß für den Verfasser dieser heiligen Geschichte kein zwingender Grund vorlag, alle Menschen zu benennen, die es damals etwa gegeben hat; es genügte, die anzuführen, deren Nennung der Plan des Werkes mit sich brachte. Die Absicht des Verfassers, der wieder durch den Heiligen Geist dabei geleitet war, ging dahin, durch die sich ablösenden Folgen bestimmter, aus einem Menschen fortgepflanzter Geschlechter zu Abraham zu gelangen und weiterhin in dessen Nachkommen zum Volke Gottes, einem von den übrigen Völkerschaften gesonderten Volke, dazu bestimmt, als Träger aller Vorbilder und Weissagungen zu dienen, die im Band 16, S. 818Geiste vorhergeschaut wurden in Bezug auf den Staat von ewiger Herrschaftsdauer und auf Christus, dessen König und zugleich Gründer; wobei indes auch von der andern Menschengenossenschaft, die wir den Weltstaat nennen, soweit die Rede sein sollte, als nötig wäre, um den Gottesstaat auch durch Vergleich mit seinem Gegner in um so helleres Licht zu setzen. Da nun die göttliche Schrift die Angaben über die Lebensdauer jener Menschen bei jedem, von dem sie spricht, mit den Worten schließt1: „Und er zeugte Söhne und Töchter, und es waren der Tage“, die der und der lebte, „insgesamt“ so und soviele „Jahre, da starb er“, so nennt sie ja da auch nicht die Söhne und Töchter mit Namen, und doch dürfen wir annehmen, daß in diesen vielen Jahren, die die Menschen damals im ersten Weltzeitalter lebten, eine sehr große Zahl von Menschen geboren werden konnte, durch deren Vereinigung auch die Möglichkeit zur Gründung zahlreicher Städte gegeben war. Aber es war Gott, auf dessen Eingebung diese Aufzeichnungen gemacht wurden, daran gelegen, nur diese beiden Genossenschaften in ihren nebeneinander laufenden Geschlechtsfolgen von Anfang an zu verfolgen und auseinander zu halten in der Weise, daß die Zeugungen der Menschen, d. i. der nach dem Menschen lebenden Menschen2, und die der Gotteskinder, d. i. der nach Gott lebenden Menschen3, je für sich angeführt würden bis zur Sündflut. So wird in der Urgeschichte die Scheidung und das Ineinanderwachsen der beiden Genossenschaften berichtet: die Scheidung damit, daß die beiden Geschlechtsfolgen gesondert vorgeführt werden, die des Brudermörders Kain, und die des andern namens Seth; auch er war bekanntlich ein Sohn Adams, ihm geboren als Ersatz für den4, den der Bruder erschlagen hatte; das Ineinanderwachsen dagegen insofern, als es heißt, daß auch die Guten sich auf abschüssiger Bahn bewegten und so schließlich alle reif geworden waren für die Vernichtung durch die Sündflut, ausgenommen einen Band 16, S. 819einzigen Gerechten, Noe genannt, und dessen Gemahlin, dessen drei Söhne und ebensoviele Schwiegertöchter, im ganzen acht Menschen, die würdig waren, dem allgemeinen Untergang der Sterblichen zu entgehen.
Wenn es also heißt5: „Und Kain erkannte sein Weib, und sie empfing und gebar den Enoch; und er erbaute eine Stadt mit dem Namen seines Sohnes Enoch“, so folgt daraus nicht, daß man Enoch als seinen ersten Sohn betrachten müßte. Dazu gibt die Wendung: „er erkannte sein Weib“ kein Recht, als hätte sie den Sinn, er habe sich damals zuerst mit seinem Weibe im Beischlaf vereinigt; denn dieselbe Wendung wird vom Stammvater Adam selbst auch nicht nur da gebraucht, wo von Kains Empfängnis die Rede ist, der sein Erstgeborener gewesen zu sein scheint, vielmehr sagt auch nachmals dieselbe Heilige Schrift6: „Es erkannte Adam Eva, sein Weib, und sie empfing und gebar einen Sohn und nannte ihn Seth“. Es handelt sich also hier offenbar um einen Sprachgebrauch der Heiligen Schrift, dessen sie sich, wenn auch nicht immer, bedient, wo sie von Menschenempfängnissen überhaupt spricht, und nicht nur da, wo von der ersten Vereinigung der Geschlechter die Rede ist. Auch daraus, daß nach Enoch jene Stadt benannt wurde, läßt sich kein zwingender Beweis für die Erstgeboreneneigenschaft Enochs ableiten. Es wäre ja recht wohl denkbar, daß ihn der Vater, da er mehrere Söhne hatte, mehr als die andern liebte. Auch Judas war nicht Erstgeborener, und doch ward sein Name auf Judäa und die Juden übertragen. Mag übrigens immerhin dem Gründer der Stadt dieser Sohn als der erste geboren worden sein, so ist deshalb doch nicht anzunehmen, daß schon bei seiner Geburt einer vom Vater gegründeten Stadt sein Name beigelegt worden wäre, weil überhaupt keine Stadt gegründet werden konnte vom damaligen Kain, der noch allein war; denn eine Stadt setzt ihrem Begriff nach eine größere Menge von Menschen voraus, die zusammengehalten wird durch irgendein Genossenschaftsband; vielmehr Band 16, S. 820erst als Kains Familie heranwuchs, so zahlreich, daß sie nunmehr die Größe eines Volkes hatte, da allerdings mochte es geschehen, daß er eine Stadt gründete und ihr den Namen seines Erstgeborenen beilegte. Die Menschen vor der Sündflut lebten ja so lang, daß der kurzlebigste unter denen, deren Alter angegeben wird, siebenhundertdreiundfünfzig Jahre erreichte7. Manche haben selbst neunhundert Jahre überschritten, auf tausend freilich brachte es keiner. Warum sollte sich also nicht während der Lebenszeit eines Menschen das Menschengeschlecht in einer Weise haben vermehren können, daß Leute nicht nur für eine, sondern für zahlreiche Städtegründungen vorhanden waren? Ist doch aus dem einen Abraham in nicht viel mehr als vierhundert Jahren das Hebräervolk so mächtig herangewachsen, daß beim Auszug aus Ägypten nur allein dessen streitbare Jugend sechsmalhunderttausend Menschen betrug8, gar nicht zu erwähnen das Volk der Idumäer, das nicht zum Volk Israel gehörte, aber von Israels Bruder Esau, einem Enkel Abrahams, abstammte, und andere Völker, die hervorgegangen sind aus Abrahams Samen unmittelbar, aber nicht durch seine Gemahlin Sara9.
Edition
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De civitate Dei (CCSL)
Caput VIII: Quae ratio fuerit, ut Cain inter principia generis humani conderet ciuitatem.
Nunc autem defendenda mihi uidetur historia, ne sit scriptura incredibilis, quae dicit aedificatam ab uno homine ciuitatem eo tempore, quo non plus quam uiri quattuor uel potius tres, posteaquam fratrem frater occidit, fuisse uidentur in terra, id est primus homo pater omnium et ipse Cain et eius filius Enoch, ex cuius nomine ipsa ciuitas nuncupata est. sed hoc quos mouet, parum considerant non omnes homines, qui tunc esse potuerunt, scriptorem sacrae huius historiae, necesse habuisse nominare, sed eos solos, quos operis suscepti ratio postulabat. propositum quippe scriptoris illius fuit, per quem sanctus spiritus id agebat, per successiones certarum generationum ex uno homine propagatarum peruenire ad Abraham ac deinde ex eius semine ad populum dei, in quo distincto a ceteris gentibus praefigurarentur et praenuntiarentur omnia, quae de ciuitate, cuius aeternum erit regnum, et de rege eius eodemque conditore Christo in spiritu praeuidebantur esse uentura; ita ut nec de altera societate hominum taceretur, quam terrenam dicimus ciuitatem, quantum ei commemorandae satis esset, ut ciuitas dei etiam suae aduersariae conparatione clarescat. cum igitur scriptura diuina, ubi et numerum annorum, quos illi homines uixerunt, commemorat, ita concludat, ut dicat de illo, de quo loquebatur: et genuit filios et filias, et fuerunt omnes dies illius uel illius quos uixit anni tot, et mortuus est: numquid quia eosdem filios et filias non nominat, ideo intellegere non debemus per tam multos annos, quibus tunc in saeculi huius prima aetate uiuebant, nasci potuisse plurimos homines, quorum coetibus condi possent etiam plurimae ciuitates? sed pertinuit ad deum, quo ista inspirante conscripta sunt, has duas societates suis diuersis generationibus primitus digerere atque distinguere, ut seorsum hominum, hoc est secundum hominem uiuentium, seorsum autem filiorum dei, id est hominum secundum deum uiuentium, generationes contexerentur usque diluuium, ubi ambarum societatum discretio concretio que narratur; discretio quidem, quod ambarum separatim generationes commemorantur, unius fratricidae Cain, alterius autem qui uocabatur Seth; natus quippe fuerat et ipse de Adam pro illo, quem frater occidit; concretio autem, quia bonis in deterius declinantibus tales uniuersi facti fuerant, ut diluuio delerentur, excepto uno iusto, cui nomen erat Noe, et eius coniuge et tribus filiis totidemque nuribus, qui homines octo ex illa omnium uastatione mortalium per arcam euadere meruerunt. quod igitur scriptum est: et cognouit Cain uxorem suam, et concipiens peperit Enoch; et erat aedificans ciuitatem in nomine filii sui Enoch: non est quidem consequens, ut istum primum filium genuisse credatur. neque enim hoc ex eo putandum est, quia dictus est cognouisse uxorem suam, quasi tunc se illi primitus concumbendo miscuisset. nam et de ipso patre omnium Adam non tunc solum hoc dictum est, quando conceptus est Cain, quem primogenitum uidetur habuisse; uerum etiam posterius eadem scriptura: cognouit, inquit, Adam Euam uxorem suam, et concepit et peperit filium, et nominauit nomen illius Seth. unde intellegitur ita solere illam scripturam loqui, quamuis non semper cum in ea legitur factos hominum fuisse conceptus, non tamen solum cum primum sibi sexus uterque miscetur. nec illud necessario est argumento, ut primogenitum patri existimemus Enoch, quod eius nomine illa ciuitas nuncupata est. non enim ab re est, ut propter aliquam causam, cum et alios haberet, diligeret eum pater ceteris amplius. neque enim et Iudas primogenitus fuit, a quo Iudaea cognominata est et Iudaei. sed etiamsi conditori ciuitatis illius iste filius primus est natus, non ideo putandum est tunc a patre conditae ciuitati nomen eius inpositum, quando natus est, quia nec constitui tunc ab uno poterat ciuitas, quae nihil est aliud quam hominum multitudo aliquo societatis uinculo conligata; sed cum illius hominis familia tanta numerositate cresceret, ut haberet iam populi quantitatem, tunc potuit utique fieri, ut et constitueret et nomen primogeniti sui constitutae inponeret ciuitati. tam longa quippe uita illorum hominum fuit, ut illic memoratorum, quorum et anni taciti non sunt, qui uixit minimum ante diluuium, ad septingentos quinquaginta tres perueniret. nam plures nongentos annos etiam transierunt, quamuis nemo ad mille peruenerit. quis itaque dubitauerit per unius hominis aetatem tantum multiplicari potuisse genus humanum, ut esset unde constituerentur non una, sed plurimae ciuitates? quod ex hoc conici facillime potest, quia ex uno Abraham non multo amplius quadringentis annis numerositas Hebraeae gentis tanta procreata est, ut in exitu eiusdem populi ex Aegypto sescenta hominum milia fuisse referantur bellicae iuuentutis; ut omittamus gentem Idumaeorum non pertinentem ad populum Israel, quam genuit frater eius Esau, nepos Abrahae, et alias natas ex semine ipsius Abrahae non per Sarram coniugem procreato.