Zweiter Artikel. Der menschliche Akt als gut oder schlecht unterliegt dem Lobe oder dem Tadel.
a) Dementgegen steht: I. Sünde ereignet sich in dem, was von der Natur aus getrieben wird, heißt es 2 Phys. Was aber von der Natur ausgeht, ist weder lob- noch tadelnswert. II. Wie im Bereiche des Moralischen, so trifft man Sünde auch im Bereiche der Kunst. Denn sagt Aristoteles (2 Phys.): „Der Grammatiker sündigt, wenn er nicht recht schreibt; und der Arzt, wenn er nicht in rechter Weise den heilenden Trunk giebt.“ Aber dem Künstler wird es nicht zur Schuld angerechnet, wenn er etwas Schlechtes macht; gehört es doch mit zum künstlerischen Vorgehen, daß er, wenn er will, ein Werk zu einem guten machen kann oder zu einem schlechten; auch einen Fehler muß der gute Maler mit Absicht machen können. Also ist es ebenso keine Schuld im Bereiche der Moral, wenn jemand etwas Übles thut. III. Dionysius sagt (4 de div. nom.): „Das Übel ist schwach und ohnmächtig.“ Schwäche und Ohnmacht aber verringern die Schuld. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (1 Ethic. 12.): „Lobenswert sind die Werke der Tugenden; tadelnswert und schuldbehaftet die gegenteiligen.“ Die Werke der Tugenden aber sind gute Werke; denn „die Tugend macht gut den, der sie hat, und sein Werk.“ Also sind die gegenteiligen Werke schlecht.
b) Ich antworte, wie „Übel“ weiter in seiner Bedeutung ist als „Sünde“, so ist „Sünde“ weiter als „Schuld“. Denn deshalb wird ein Akt als lobwert oder schuldig bezeichnet, weil er dem Wirkenden angerechnet wird; denn nichts Anderes heißt es, „gelobt oder schuldig gefunden werden,“ als daß jemandem die Güte oder die Bosheit seines Werkes angerechnet wird. Dann aber wird ein solcher Akt angerechnet, wenn derselbe in der Gewalt des Wirkenden steht, so zwar, daß er Herr darüber ist. Dies nun hat statt in den freiwilligen Handlungen; denn vermittelst seines Willens hat der Mensch die Verfügung über sein eigenes Thätigsein. Also stellt das „Gute“ oder „Böse“ in den freiwilligen Handlungen den Charakterdes Lob- oder Tadelnswerten her; so daß da ganz das Gleiche besagt: Übel, Sünde, Schuld.
c) I. Die Thätigkeiten im Bereiche der bloßen Natur sind nicht in der Gewalt des wirkenden Wesens; da ja die Natur zu einem ganz bestimmten beschränkten Seinsbereiche hin bestimmt ist. Somit kann da wohl Sünde sein, aber nicht Schuld. II. Die Vernunft verhält sich anders in der Kunst wie im Moralischen. In der Kunst steht die Vernunft in geregelter Beziehung zu einem besonderen beschränkten Zwecke, nämlich zu etwas von der Vernunft Ausgedachten. Im Moralischen aber steht sie in Beziehung zum allgemeinen Zwecke des gesamten menschlichen Lebens. Der besondere beschränkte Zweck aber ist untergeordnet dem allgemeinen. Da nun Sünde nichts Anderes ist als das Abweichen von der Ordnung zum Zwecke hin, so kann bei der Kunst in doppelter Weise Sünde sein: einmal dadurch, daß vom vorgezeichneten besonderen Zwecke abgewichen wird; und so besteht da eine wahre Kunstsünde, der Kunst allein eigen; wenn nämlich der Künstler die Absicht hat, ein gutes Werk zu vollbringen und macht ein schlechtes, oder wenn er ein schlechtes machen will und macht ein gutes. Dann ist Sünde bei der Kunst infolge des Abweichens von dem allgemeinen Zwecke des menschlichen Lebens, wenn der Künstler beabsichtigt, ein schlechtes Werk zu machen; und er macht es in der That, damit ein anderer in die Irre geführt werde. Das aber ist nicht eine Sünde, die dem Künstler als solchem eignet, sondern, die er begeht, insoweit er Mensch ist. Also in der ersten Art Sünde hat der Künstler als solcher die Schuld; und in der zweiten Art Sünde als Mensch. Im Moralischen aber wird immer nur das Abweichen vom allgemeinen Zwecke des menschlichen Lebens beachtet und so wird da der Mensch immer schuldig gefunden einzig und allein insoweit er Mensch ist und insoweit er den Charakter des Moralischen trägt. Deshalb sagt Aristoteles (6 Ethic. 5.): „Der Künstler, der als Künstler sündigt, nur weil er will, ist vorzüglicher; der Mensch aber, der sündigt, weil er so will, ist unklug.“ Mit der Klugheit aber, der Richtschnur aller moralischen Tugenden, meint Aristoteles alle Tugenden. III. Die Schwäche in den freiwilligen bösen Handlungen unterliegt der Gewalt und der Verfügung des Menschen; und deshalb nimmt sie weder noch vermindert sie das Schuldbare.
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