Vierter Artikel. Die menschliche Handlung als gut oder schlecht ist verdienstlich oder mißverdienstlich bei Gott.
a) Das scheint schon deshalb unmöglich, weil: I. Verdienst und Mißverdienst in sich einschließt die Beziehung zur Wiedervergeltung des Vorteils oder Nachteils, den jemand einem anderen verursacht. Mag aber der menschliche Akt gut sein oder schlecht, Gott hat davon weder Nachteil noch Vorteil. Denn, heißt es bei Job 35.: „Wenn du sündigst, was wirst du Ihm für Nachteil bringen?… Handelst du recht, welches Geschenk soll das für Ihn sein?“ Von einem Verdienste oder Mißverdienste der menschlichen Akte bei Gott kann also keine Rede sein. II. Das Werkzeug verdient oder mißverdient nichts bei dem, der es gebraucht. Denn die ganze Thätigkeit desselben ist dessen, der es führt. Der Mensch aber ist ein Werkzeug für die göttliche Macht, die ihn in erster Linie in Thätigkeit setzt; wie Isaias (10.) sagt: „Wird denn das Beil sich rühmen bei dem, der mit ihm schneidet? Wird die Säge sich erheben gegen den, der sie zieht?“ Bei Gott also verdient der Mensch nicht und mißverdient nicht. III. Nicht jeder menschliche Akt wird zu Gott hingeordnet. Nur insofern aber ist Verdienst oder Mißverdienst im menschlichen Akte als er zu einem anderen hin Beziehung hat. AIso nicht jeder menschliche Akt verdient oder mißverdient bei Gott. Auf der anderen Seite heißt es Eccle. ult.: „Alles, was geschieht, wird der Herr vor sein Gericht bringen, das Gute sowohl wie das Böse.“ Das Gericht aber schließt Wiedervergeltung ein und somit Verdienst und Mißverdienst. Jeder menschliche Akt also hat bei Gott Verdienst oder Mißverdienst.
b) Ich antworte, die Thätigkeit irgend eines Menschen trage den Charakter des Verdienstvollen oder des Mißverdienstes, je nachdem sie zu einem anderen hin Beziehung habe, sei es auf Grund dieses anderen sei es auf Grund der Gesamtheit. In beider Weise aber haben unsere guten oder schlechten Handlungen Verdienst oder Mißverdienst bei Gott: Zuvörderst kraft ihrer Beziehung zu Gott, insoweit Gott der letzte Endzweck des Menschen ist; es aber sich gebührt, daß jegliche Handlung auf den letzten Endzweck hin bezogen werde. (Kap. 19, Art. 10.) Wer also eine schlechte Handlung macht, die nicht auf Gott beziehbar ist, der nimmt nicht die Ehre Gottes wahr, wie sie Ihm als dem letzten Endzwecke gebührt. Ferner aber mit Rücksicht auf die Gesamtheit des All haben unsere Akte Verdienst oder Mißverdienst bei Gott. Denn wer in einer beliebigen Gesellschaft die oberste Leitung hat, dem liegt es auch an erster Stelle ob, Sorge zu tragen für das Gemeinbeste; er muß also wiedervergelten sei es für das Gute was geschehen sei es für das Böse. Gott nun ist der Leiter der Gesamtheit des All. Also ist es an Ihm, der Wiedervergelter zu sein für alle menschlichen Handlungen, die guten und die bösen.
c) I. Gott selber allerdings können wir durch unsere Werke keinen Vorteil und keinen Schaden bringen. Der Mensch aber, inwiefern er für sichbetrachtet wird, entzieht Gott etwas oder er bringt es Ihm dar, insoweit er von der Ordnung, die Gott eingerichtet, abweicht oder dieselbe wahrnimmt. II. Gott setzt in der Weise den Menschen als sein Werkzeug in Thätigkeit, daß der Mensch auch sich selbst in Thätigkeit setzt (Kap. 10, Art. 4.); und demgemäß verdient oder mißverdient er durch seinen Akt bei Gott. III. Zur Staatsgemeinschaft hat der Mensch nicht nach seinem ganzen Sein und nach allen seinen Kräften eine allwaltende Beziehung; und deshalb braucht da nicht jede seiner Handlungen verdienstlich oder mißverdienstlich zu sein, nämlich bei der Staatsgemeinschaft Lohn oder Strafe zu fordern. Alles aber, was der Mensch ist, kann und hat, muß auf Gott bezogen werden. Und deshalb hat jeder gute oder schlechte menschliche Akt den Charakter des Verdienstes oder Mißverdienstes bei Gott, soweit es auf die Natur des Aktes ankommt.
