Dritter Artikel. Die Leidenschaft des Zornes steht in keinem Gegensatze zu einer anderen Leidenschaft.
a) Dementgegen muß jede Leidenschaft zu einer anderen im Gegensatze stehen. Denn: I. Jede Leidenschaft hat entweder ihren Sitz in der Begehrkraft oder in der Abwehrkraft. In einem jeden dieser Vermögen aber hat die einzelne Leidenschaft je nach der Weise des Vermögens ihren Gegensatz. Also. II. Jede Leidenschaft hat das Gute oder das Böse zum Gegenstande. Also ist jener Leidenschaft, die das Gute als Gegenstand hat, entgegengesetzt eine andere, deren Gegenstand das Böse ist. III. Ist der Gegensatz gemäß der Annäherung und Entfernung, so muß natürlich jeder Leidenschaft, die näher hinzutreibt, eine andere gegenüberstehen, die entfernt. Auf der anderen Seite ist keine Leidenschaft dem Zorne entgegengesetzt; nach 4 Ethic. 5.
b) Ich antworte, daß dies der Leidenschaft des Zornes allein eigen ist, keine andere Leidenschaft sich gegenüber zu haben weder gemäß der Annäherung und Entfernung rücksichtlich ein und desselben Gegenstandes noch gemäß dem Gegensatze von „gut“ und „böse“. Denn der Zorn wird verursacht von einem schwer zu überwindenden „Übel“, das der betreffenden Person bereits innewohnt. Da es also bereits gegenwärtig ist, so unterliegt entweder das Begehren; und verläßt so nicht die Grenzen der Traurigkeit, die eine Leidenschaft in der Begehrkraft, der concupiscibilis ist; — oder das Begehren hat eine Bewegung, um das schädliche „Böse“ anzugreifen, was dem Zorne eigen ist. Es zu fliehen, dazu kann das Begehren keine Bewegung haben, weil das Böse bereits als gegenwärtig oder als vergangen vorausgesetzt wird. Also hat der Zorn keinen Gegensatz gemäß der Annäherung oder Entfernung rücksichtlich ein und desselben Gegenstandes. Ähnlich kann es da auch keinen Gegensatz geben gemäß dem „gut“ und „böse“. Denn dem bereits innewohnenden „Bösen“ steht entgegen das erreichte Gut, was als erreicht nicht mehr mit Schwierigkeiten verknüpft sein kann und somit bleibt nach der Erreichung eines Gutes nichts Anderes übrig, als die Ruhe im Besitze, was zur Freude gehört, einer Leidenschaft nicht der Abwehr-, sondern der Begehrkraft. Eine der Bewegung des Zornes entgegenstehende Bewegung giebt es also nicht; sondern höchstens steht ihm entgegen das Aufhören aller Bewegung, was kein positiver Gegensatz ist, sondern einfach eine Leugnung oder ein Mangel.
c) Damit sind auch die Einwürfe gelöst.
