Dritter Artikel. Das Hinaustreten aus sich selbst, die Ekstase, ist eine Wirkung der Liebe.
a) Dem gegenüber scheint: I. Das Hinaustreten aus sich selbst oder das „Außersichwerden“ eine Entfremdung von sich selbst einzuschließen. Nicht jede Liebe macht dies aber. Viele lieben und bleiben ihrer selbst mächtig. II. Der Liebende will, daß das geliebte Gut mit ihm vereinigt werde; zieht es also vielmehr zu sich, als daß er zu ihm gezogen werde. III. Die Liebe einigt mit dem Geliebten. Wenn also der Liebende außer sich wird, damit er den Geliebten erreiche, scheint es, daß er immer den Geliebten mehr liebt wie sich selbst; was falsch ist. Also das „Außer sichwerden“ ist keine Wirkung der Liebe. Auf der anderen Seite sagt Dionysius (4 de div. nom.): „Die göttliche Liebe bewirkt das Aus-Sich-Heraustreten“ und „Gott ist aus Liebe aus Sich selbst herausgetreten.“ Da also jede Liebe eine gewisse Ähnlichkeit ist von der göttlichen Liebe, wie ebendaselbst gesagt wird, so ist diese Wirkung allen Arten von Liebe gemeinsam.
b) Ich antworte, „das Aus-Sich-Heraustreten“ wird von jemandem gesagt, der außerhalb seiner selbst gebracht wird. Dies geschieht nun sowohl gemäß der Auffassungs- als auch gemäß der begehrenden Kraft. Nach der ersteren geschieht es, wenn jemand entweder zu höherer Kenntnis erhoben wird als dies ihm von Natur eigen ist; wie z. B. wenn er zur Kenntnis von etwas Höherem erhoben wird als das ist, wozu die vermittelst der Sinne erkennende Vernunft mit ihrer natürlichen Kraft gelangen kann; — oder wenn jemand zu Tieferem hinabsteigt; wie jener „außer sich wird“, der von einem Wutanfall oder von Wahnsinn befallen wird. Nach der begehrenden Kraft vollzieht sich das „Aus-Sich-Heraus-treten“,wenn jemand in seinem Begehren auf etwas sich richtet, was außerhalb seiner existiert, also gewissermaßen außen steht für ihn. Das erstgenannte „Außersichwerden“ wird von der Liebe vorbereitet, insoweit sie macht, daß man über den Geliebten nachdenkt, wie Art. 2 es dargelegt worden; denn die gespannte Aufmerksamkeit und Nachforschung nach einer Seite hin zieht ab von Anderem. Das zweitgenannte „Außersichwerden“ aber wird von der Liebe unmittelbar verursacht und zwar schlechthin und ohne Voraussetzung von der Liebe der Freundschaft; unter gewisser Voraussetzung jedoch, nicht freilich schlechthin, auch von der Liebe der Begierlichkeit. Denn die letztere treibt nach außen um eines Gutes willen, das der Liebende nicht in sich enthält; weil sie es aber für den Liebenden selber will, so geht dieser nicht schlechthin aus sich heraus, seine Neigung hält diese Bewegung in sich eingeschlossen. In der Liebe der Freundschaft aber will jemand für einen anderen, außen Stehenden, er will für den Freund ein Gut; und geht somit schlechthin und ohne weitere Bedingung aus sich heraus. Denn er sorgt für den Besitz des betreffenden Gutes um des Freundes, nicht um seiner selbst willens
c) I. Dieser Einwurf geht auf die erstgenannte Weise des Aus-Sich-Heraustretens. II. Dies hat zur Grundlage die Liebe der Begierlichkeit, die nicht schlechthin aus sich heraus gehen läßt. III. Wer liebt, geht insoweit aus sich heraus als er will und wirkt das Gute um seines Freundes willen, für diesen. Damit ist aber nicht gesagt, daß er das Gute seines Freundes mehr will wie das seine. Also folgt nicht, daß er den anderen mehr liebt als sich selbst; er betrachtet ja den Freund wie ein anderes Selbst.
