Erster Artikel. Die Begierlichkeit ist nur im sinnlichen begehrenden Teile.
a) Dem steht entgegen: I. Sap. 6.: „Die Begierde nach Weisheit führt zur Herrschaft“; denn die Weisheit ist in der Vernunft. II. Ebenso Ps. 118.: „Es begehrte meine Seele zu verlangen nach Deinen Rechtfertigungen.“ Im sinnlichen Teile aber findet sich nicht das Begehren nach den Geboten Gottes, wie Röm. 7. es heißt: „Es wohnt nicht in mir, d. h. in meinem Fleische, das Gute.“ III. Jedes Vermögen begehrt nach dem ihm eigenen Gute. Also die Begierlichkeit ist in jedem Vermögen. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (2. de orth. fide): „Das Vernunftlose wird, soweit es der Vernunft gehorcht und ihrer Überredung zugänglich ist, geteilt in die Begierlichkeit und in den Zorn. Das ist aber der die Eindrücke von außen her aufnehmende, sie erleidende, der begehrende Teil der vernunftlosen Seele.“ Also ist die Begierlichkeit im sinnlichen begehrenden Teile.
b) Ich antworte, die Begierlichkeit sei nach Aristoteles (1 Rhet. 11.) das Begehren nach Ergötzlichem. Nun giebt es ein doppeltes Ergötzen (Kap. 31.): Das eine ist im rein geistigen, also in dem der Vernunft entsprechenden Gute; das andere ist in dem Gute, das den Sinnen zugänglich ist. Das erstgenannte ist allein der (geistigen) Seele eigen; das zweite umfaßt Leib und Seele, denn der Sinn ist eine Kraft in einem stofflichen Organe. Deshalb ist auch das dem Sinne entsprechende Gute das des Ganzen, welches aus der Verbindung von Leib und Seele ersteht. Das Begehren nach einem solchen Gute scheint die Begierlichkeit zu sein, welche zugleich Leib und Seele umfaßt. Die Begierlichkeit also ist im sinnlichen begehrenden Teile; und zwar in der Begehrkraft, die von ihr benannt wird.
c) I. Das Verlangen nach Weisheit wird als „Begierde“, concupiscentia, bezeichnet zuvörderst auf Grund einer gewissen Ähnlichkeit oder auf Grund des Übermaßes im Verlangen des höheren Teiles, aus welchem ein Überfließen stattfindet in den sinnlichen Teil, so daß dieser auch dem höheren Teile folgt und das Seinige thut zu gunsten des rein geistigen Gutes, wie Ps. 83. es heißt: „Mein Herz und mein Fleisch haben gefrohlockt zum lebendigen Gotte hin.“ II. „Verlangen“ bezieht sich, in eigentlicher Sprachweise, nicht nur auf das Begehren des niederen Teiles, sondern auch auf das des höheren. III. Jedem Vermögen der Seele kommt es zu, das ihm eigene Gut zu begehren, gemäß dem rein natürlichen Begehren, das da nicht derAuffassung folgt, soweit diese im Begehrenden selbst sich findet. Das Begehren des sinnlich Guten aber, welches der Auffassung innerhalb des Subjektes selber folgt, gehört nur der begehrenden Kraft an. Das Begehren nun nach etwas unter dem Gesichtspunkte des Ergötzlichen gemäß den Sinnen ist eigen der Begierlichkeit.
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