Dritter Artikel. Es giebt ein Ergötzen, welches im höchsten Grade gut ist.
a) Kein Ergötzen scheint im höchsten Grade gut zu sein. Denn: I. Kein Erzeugen ist im höchsten Grade gut, da es niemals letzter Zweck sein kann. Das Ergötzen aber ist eine Folge des Erzeugens; denn „infolge dessen daß etwas in seine Natur hineingebildet wird, besteht für jemanden Ergötzen,“ sagt Aristoteles wie oben. Also kein Ergötzen ist im höchsten Grade gut. II. Was den Grad des „Besten“ hat, kann durch kein Hinzufügen mehr besser werden. Das Ergötzen kann aber stets ein besseres sein. Denn besser ist ein Ergötzen, was mit Tugend verbunden ist wie eines ohne Tugend. III. Was den Rang des „Besten“ einnimmt, ist im allgemeinen d. h. seinem Wesen nach und von vornherein „gut“. Das Ergötzen aber ist nicht an sich gut, wie oben bewiesen. Auf der anderen Seite ist die Seligkeit das Allerbeste, da sie den Zweck des ganzen menschlichen Lebens bildet. Die Seligkeit aber ist nicht ohne Ergötzen, wie Ps. 15 gesagt wird: „Anfüllen wirst du mich mit Freude zugleich mit Deinem Antlitze; Ergötzlichkeiten, die nicht aufhören, sind in Deiner Rechten.“
b) Ich antworte; Plato betrachtete nicht wie die Stoiker alle Ergötzungen als schlecht und auch nicht sie alle insgesamt gleich den Epikuräern für gut. Er meinte vielmehr, die einen seien gut, die anderen schlecht; keine aber sei im höchsten Grade gut, als ob sie das höchste Gut wäre. Aber er täuschte sich da unter zwei Gesichtspunkten: Einmal darin, daß er glaubte, alle Ergötzungen seien, wie das Anfüllen mit Speise z. B., die Folge eines gewissen Erzeugens und damit zugleich der Bewegung; denn er sah, wie die körperlichen Ergötzungen in einer gewissen Bewegung und Erzeugung beständen. Da nun Erzeugen und In-Bewegung-sein Thätigkeiten unvollendeten Seins sind, solchen Seins nämlich, was durch die Bewegung noch etwas erst werden will, so folgte natürlich, daß die Ergötzung in ihrem Begriffe den Charakter der Schluß-Vollendung von sich abwies. Das aber beruht offenbar auf einer falschen Voraussetzung; wir haben dafür nur die geistigen Ergötzungen zu prüfen. Denn jemand ergötzt sich nicht nur daran, daß Wissen in ihm entsteht oder erzeugt wird, daß er nämlich Neues hinzulernt oder sich wundert, sondern auch daran, daß er die bereits erlangte Wissenschaft betrachtet. Dann täuschte sich Plato darin, daß er meinte, als das höchste Gut sei nur zu betrachten, was schlechthin, seinem Wesen nach dies sei; wie Gott selber das höchste Gut ist. Wir sprechen jedoch vom „Besten“ im Bereiche des Menschlichen. Das „Beste“ aber im Bereiche jeder Seinsart ist der letzte Zweck. Als dieser letzte Zweck nun wird bezeichnet entweder die Sache selbst, die besessen wird oder der Gebrauch dieser Sache; wie der Zweck des Reichen ist das Geld oder der Besitz des Geldes. Unddanach kann genannt werden letzter Zweck des Menschen entweder Gott selbst oder der Genuß, der Besitz Gottes; und dieses Letztere schließt ein das Ergötzen am letzten Endzwecke. In dieser Weise also kann ein Ergötzen unter allen menschlichen Ergötzungen als das schlechthin im höchsten Grade gute bezeichnet werden.
c) I. Manche Ergötzlichkeiten sind nicht Folgen irgend welcher Bewegung; sondern begleiten das Thätigsein des in sich Thatsächlichen oder Vollendeten, wie das Erkennen, Wollen. II. Jener Einwurf spricht vom „Besten“ schlechthin, durch das Alles, was ist, insoweit gut ist. Dies kann in keiner Weise, durch kein Hinzufügen besser werden. Aber im Bereiche alles anderen Guten kann jedes Gut durch Hinzufügung eines anderen besser werden. Jedoch kann auch mit Aristoteles gesagt werden (l Ethic. 8.): „Das Ergötzen ist für die Thätigkeit der Tugend nichts Fremdes, Hinzugefügtes, sondern sie immer Begleitendes.“ III. Das Ergötzen am letzten Endzwecke trägt nicht den Charakter des „Besten“, weil es ein Ergötzen ist, sondern weil es vollkommene allseitige Ruhe ist im „Besten“. Also ist nicht erfordert, daß nun jede Ergötzlichkeit im höchsten Grade gut oder auch nur gut sei. So giebt es auch eine „beste“ Wissenschaft; nicht aber eine jede ist dies.
