Erster Artikel. Das gegenwärtige positive Übel ist mehr Ursache der Trauer wie der Verlust von etwas Gutem.
a) Das Gegenteil scheint zu behaupten: I. Augustin (de octo quaest. Dulcitii qu. 1.), wo er sagt, der Schmerz beziehe sich auf den Verlust der zeitlichen Güter. II. Der Schmerz bezieht sich, wie oben gesagt worden, da er dem Ergötzen entgegensteht, auf das Nämliche wie das, woran man sich ergötzt. Man ergötzt sich aber am Guten. Also ist der Schmerz an erster Stelle über den Verlust des Guten. III. Nach Augustin (14 de civ. Dei 7.) ist die Liebe die Ursache der Trauer wie aller anderen Neigungen der Seele. Der Gegenstand der Liebe aber ist das Gute. Also das verlorene Gut ist in erster Linie Gegenstand der Trauer. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (2 de orth. fide c. 12.): „Das Übel, welches man erwartet, verursacht die Furcht; das gegenwärtige aber die Trauer.“
b) Ich antworte, daß, wenn die Mängel am Guten in der Auffassung der Seele sich ebenso verhielten wie in den Dingen selbst, diese ganze Frage gar keine Bedeutung hätte. Denn das Übel ist eben „Mangel an Gutem.“ Mangel aber in den Dingen will nichts Anderes besagen wie das Entbehren. Danach also wäre es ganz das Nämliche: Trauern über den Verlust eines Gutes und über das Übel, das man besitzt. Die Trauer aber ist eine Bewegung des Begehrens, welche der Auffassung folgt. In der Auffassung nun hat der Mangel selbst einen gewissen Charakter des Seins und wird eben deshalb „Vernunftding“ genannt, ens rationis. Und so trägt das Übel als Mangel den Charakter des (konträr)positiv Entgegengesetzten. Mit Rücksicht also auf das Begehren ist es ein Unterschied, ob es an erster Stelle berücksichtigt das gegenwärtige positive Übel oder den Verlust des Guten. Und da die Bewegung des sinnlichen Begehrens sich so verhält in den Thätigkeiten der Seele wie die rein natürliche Bewegung im Bereiche der Dinge der Natur, so kann von dieser letzteren aus die Wahrheit entnommen werden. Denn wenn wir in solch rein natürlichen Bewegungen das „Näherkommen“ und das „Sich-Entfernen“ berücksichtigen, so geht das Näherkommen an und für sich, kraft seiner Natur auf das der betreffenden Natur Zukömmliche. Das „Sich-Entfernen“ aber hat zum Gegenstande an und für sich das der Natur Widerstreitende; wie der schwere Körper von sich aus sich entfernt von der Höhe und ebenso naturgemäß sich nähert der Tiefe. Betrachten wir aber die Ursache beider Bewegungen, nämlich die Schwere im Körper, so neigt diese vorerst nach unten hin als sie abzieht von der Höhe. Da nun die Trauer in den Thätigkeiten des begehrenden Vermögens sich verhält wie Fliehen oder „Sich-Entfernen“, die Ergötzung aber wie „Näherkommen“, so berücksichtigt, wie das Ergötzen zuerst als seinen eigensten Gegenstand das erlangte Gut vor sich hat, die Trauer das gegenwärtige positive Übel. Die Ursache aber (wie die Schwere in den Körpern) des Ergötzens sowohl wie des Trauerns, die Liebe, berücksichtigt zuerst das Gute und auf Grund dessen erst das Übel. So also, in der Weise wie der Gegenstand Ursache der Leidenschaft ist, steht im eigentlichsten Sinne als Ursache der Trauer früher da das gegenwärtige Übel wie der Verlust des Guten.
c) I. Der Verlust selber des Guten wird erfaßt unter dem Gesichtspunkte des Übels, wie der Verlust des Übels unter dem Gesichtspunkte des Guten. Und danach sagt Augustin, der Schmerz komme vom Verluste zeitlicher Güter. II. Das Ergötzen und die ihm entgegenstehende Trauer haben den gleichen Gegenstand; aber unter verschiedenem Gesichtspunkte. Denn wenn die Ergötzung betrifft die Gegenwart von etwas, so geht die Trauer auf die Abwesenheit dieses selben. In dem einen Gliede des Gegensatzes aber ist eingeschlossen der Mangel des anderen. (10. Metaph.) Und von da her kommt es, daß die Trauer, welche auf den gegenteiligen Gegenstand des Ergötzens geht, gewissermaßen den gleichen Gegenstand berücksichtigt unter gegensätzlichem Gesichtspunkte. III. Wenn von ein und derselben Ursache viele Bewegungen herrühren, so ist es nicht erfordert, daß alle diese Bewegungen an erster Stelle das berücksichtigen, was an erster Stelle von der Ursache berücksichtigt wird; dies ist nur bei der ersten Bewegung der Fall. Jede unter den anderen Bewegungen nimmt an erster Stelle Rücksicht auf das, was ihr nach der eigenen Natur zukommt.
