Zweiter Artikel. Die Begierlichkeit ist Ursache von Schmerz.
a) Dem widerspricht: I. Die Trauer hat zum Gegenstande vorerst das Übel; die Begierlichkeit das Gute. Die Bewegung aber nach dem einen Gliede des Gegensatzes hin kann nicht die Ursache sein für die Bewegung nach dem anderen hin. Also II. Der Schmerz wird gefühlt wegen des gegenwärtigen Übels. Die Begierlichkeit erstrebt das Zukünftige. Also kann letztere nicht die Ursache des Schmerzes sein. III. Was an und für sich, kraft seiner Natur, ergötzlich ist, das ist nicht Ursache des Schmerzes. Die Begierlichleit aber ist an und für sich ergötzlich nach Aristoteles. (1 Mek. 11.) . Auf der anderen Seite sagt Augustin im Enchiridion c. 24.: „Wenn da insgeheim eintreten die Unwissenheit dessen, was zu thun ist, und die Begierlichkeit nach Verderblichem, so sind beständige Begleiter der Irrtum und der Schmerz.“
b) Ich antworte; die Trauer sei eine Thätigkeit oder eine Bewegung im sinnlichen Begehren. Eine solche Bewegung aber ist ähnlich der rein natürlichen Bewegung oder Hinneigung. Diese nun hat einen doppelten Grund: den einen in der Weise des Zweckes; den anderen in der Weise des bewegenden, wirkenden, woher die Bewegung ihren Anfang nimmt. So ist für den schweren Körper der eine Grund seiner Bewegung nach unten in der Weise des Zweckes, der Ort nämlich unten. Das Princip aber der Bewegung, von wo die Bewegung ausgeht, ist die natürliche Hinneigung, welche der Schwere gedankt wird. Nun ist die Ursache für die Bewegung des Begehrens in der Weise des Zweckes: der Gegenstand; — und so ist die Ursache der Trauer wie oben gesagt worden, das gegenwärtige Übel. Die Ursache aber, von der die Bewegung als von dem, was den Anstoß giebt, ausgeht, ist: die innere Hinneigung im Begehren, die zuerst auf das Gute hin geht, um es zu haben, und danach auf das Übel, um es zurückzuweisen. Also ein solches den Anstoß gebendes Princip ist zuvörderst an erster Stelle die Liebe; und an zweiter Stelle für das Übel der Haß. Weil jedoch die Begierde die erste Wirkung der Liebe ist, deshalb setzt Augustin oft die Begierde oder das Verlangen anstatt der Liebe; und so sagt er, die Begierlichkeit sei der erste und allgemeine Grund des Schmerzes. Indes ist auch die Begierlichkeit als solche, im strengen Sinne des Wortes, bisweilen die Ursache des Schmerzes. Denn Alles, was die Bewegung hindert, daß sie nicht ihren Zweck erreiche, ist im Gegensatze zur Bewegung. Was aber der Bewegung des Begehrens entgegen ist, das ist schmerzend; und so wird folgerichtig die Begierlichkeit Ursache der Trauer, insoweit wir über die Verzögerung des begehrten Gutes oder über dessen Entfernung trauern. Die erste und allgemeine Ursache des Schmerzes freilich kann sie nicht sein; denn wir trauern mehr über die Entziehung der gegenwärtigen Güter, die wir bereits genießen, als über die der zukünftigen, die wir begehren.
c) I. Eben die Neigung, das Gute zu erreichen, ist die Ursache, das Böse zu vermeiden; und deshalb werden die Bewegungen des Begehrens zum Guten hin als Ursache bezeichnet für die Bewegungen, welche das Übel berücksichtigen. II. Was für die Zukunft begehrt wird, ist gewissermaßen bereits in der Neigung gegenwärtig, insoweit es erhofft wird. Oder, kann gesagt werden, das Hindernis, welches den Schmerz verursacht, wird als gegenwärtig gesetzt; mag auch das begehrte Gut zukünftig sein. III. Die Begierlichkeit ist ergötzlich, so lange die Hoffnung bleibt, daß man ihr genügen könne. Ist aber diese Hoffnung durch das eingetretene Hindernis gestört, so verursacht dies Schmerz.
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