Erster Artikel. Nicht jede Traurigkeit ist schlecht.
a) Dagegen sagt: I. Nyssenus (de nat. hom. 19.): „Jede Trauer ist ihrer Natur nach etwas Schlechtes.“ II. Was alle fliehen, ist jedenfalls ein Übel. Alle aber fliehen die Traurigkeit, auch die Tugendhaften nach 7 Ethic. 11.: „Der Kluge hält sich nicht als Zweck die Ergötzung vor; er beabsichtigt aber auch nicht, traurig zu sein.“ III. Wie das körperliche Übel der Gegenstand des körperlichen Schmerzes ist, so das geistige der Gegenstand des geistigen Schmerzes und somit auch seine Ursache. Jeder körperliche Schmerz aber ist etwas Schlechtes für den Körper; also ist auch jeder geistige Schmerz ein Übel für die Seele. Auf der anderen Seite steht die Trauer über etwas Schlechtes gegenüber der Ergötzung an etwas Schlechtem. Das Ergötzen aber an etwas Schlechtem ist schlecht, wie Prov. 2. gesagt wird: „Sie (die Bösen) freuen sich, wenn sie Übles gethan haben.“ Also ist die Trauer über das Schlechte gut.
b) Ich antworte; es könne etwas als „gut“ oder „böse“ bezeichnet werden: einmal an und für sich und schlechthin — und so ist jede Trauer ein Übel, denn eben dies daß das Begehren des Menschen in Angst ist wegen eines gegenwärtigen Übels, ist ein Übel, da hierdurch die Ruhe des Begehrens im Guten gestört wird. Dann wird etwas unter einer gewissen Voraussetzung als „gut“ oder „böse“ bezeichnet, wie z. B. die Scham gut ist unter der Voraussetzung, daß etwas Unehrbares begangen worden ist. (4 Ethic. ult.) So also, vorausgesetzt etwas Schmerzhaftes oder Betrübendes, gehört es in das Bereich des Guten, daß jemand vom bestehenden Übel her traurig wird und Schmerz hat. Denn daß er nicht traurig würde, dies hätte keinen anderen Grund als weil er das widerstrebende Übel nicht empfände oder weil er nicht meinte, es sei ihm und seiner Natur zuwider — und Beides wäre offenbar vom Übel. Daher gehört es in das Bereich des Guten, daß, vorausgesetzt die Gegenwart des Übels, Trauer folge oder Schmerz. Und deshalb meint Augustin (8 sup. Gen. ad litt. 14.): „Noch ist es ein Gut, daß ihn schmerzt das verlorene Gut; denn wenn kein Gut in der Natur zurückgeblieben wäre, so würde der Schmerz über kein verlorenes Gut nicht Strafe sein.“ Weil nun Alles, was im Bereiche des Moralischen sich findet, nur Bedeutung hat mit Rücksicht auf das Einzelne, worauf die Thätigkeiten sich beziehen, so muß, was unter Voraussetzung der Verfassung der einzelnen Person als gut betrachtet worden ist, überhaupt für gut gehalten und wasunter Voraussetzung als freiwillig bezeichnet worden, überhaupt für freiwillig gehalten werden.
c) I. Nyssenus spricht von der Trauer mit Rücksicht auf das Übel was betrübt; nicht aber mit Rücksicht auf jenen, der da fühlt und zurückweist das Übel. Und auch in letzterer Beziehung fliehen alle das Übel und somit auch die Trauer; aber sie fliehen nicht davor, daß sie das Übel fühlen und als solches zurückweisen. Und so ist auch zu sagen über den körperlichen Schmerz; denn daß jemand den körperlichen Schmerz empfindet und als etwas Widerstreitendes betrachtet, das ist ein Zeugnis für die Güte seiner Natur. II. und III. ist damit beantwortet.
