Zweiter Artikel. Die Trauer kann auch den Charakter des ehrbaren, anständigen Guten haben.
a) Dagegen spricht: I. Was zur Hölle führt, ist entgegen dem Ehrbaren. Aber wie Augustin (12 sup. Gen. ad litt. 33.) sagt, „scheint Jakob gefürchtet zu haben, daß er allzu großer Trauer zufolge bis zu dem Grade in Verwirrung geriete, daß er nicht in die Ruhe der Seligen einginge, sondern in die Hölle der Sünder hinabführe.“ Also trägt die Trauer nicht den Charakter des Ehrbaren. II. Das ehrbare Gut ist verdienstvoll und lobwert. Die Trauer aber vermindert das Verdienstvolle und Lobwerte; denn 2. Kor. 9. heißt es: „Ein jeder, wie er in seinem Herzen es sich vorgenommen, nicht mit Traurigkeit und wie aus Notwendigkeit.“ III. Augustin (14 de civ. Dei 15.) sagt: „Trauer haben wir rücksichtlich dessen, was gegen unseren Willen geschieht.“ Nicht wollen aber das was in der Gegenwart geschieht, heißt ebenso viel als einen Willen haben, welcher der göttlichen Ordnung widerstrebt, nach deren Fürsorge Alles geregelt wird. Also scheint die Trauer in Widerspruch zu stehen mit der Aufrichtigkeit des Willens, der da gleichförmig sein soll dem göttlichen. Auf der anderen Seite hat was den Lohn des ewigen Lebens verdient den Charakter des Ehrbaren. Dazu gehört aber die Trauer nach Matth. 5.: „Selig die Traurigen, denn sie werden getröstet werden.“
b) Ich antworte; nach jener Auffassung, gemäß der die Trauer überhaupt ein Gut ist, kann sie auch etwas Ehrbares sein. Die Trauer Nämlich ist gut, soweit sie das Übel erkennt, respektive empfindet und zurückweist. Im äußerlichen Schmerz nun ist dies ein Zeugnis für die Güte der Natur. Beim innerlichen Schmerze aber ist diese Kenntnis des Übels manchmal gemäß dem gesunden Urteile der Vernunft; die Zurückweisung desselben gemäß der guten Verfassung des Willens, der das wahre Übel verabscheut. Alles Gute, was „ehrbar“ genannt wird, geht aber hervor aus der Geradheit der Vernunft und des Willens. Also kann die Trauer offenbar den Charakter des Ehrbaren tragen.
c) I. Alle Leidenschaften bedürfen der Regelung gemäß der Vernunft, welche die Wurzel des Ehrbaren ist; und diese Wurzel überschreitet die unmäßige Trauer, von der Augustin redet. II. Wie die Trauer über das Übel von der rechten Vernunft unddem geraden Willen ausgeht, welche das Übel verabscheut, so die Trauer über das Gute von der verkehrten Vernunft- und Willensmeinung, welche das Gute verabscheut. Und solche Trauer ist ein Hindernis für Lob und Verdienst; wie wenn jemand trauert über das gegebene Almosen. III. Die Sünden geschehen mit der Zulassung, nicht mit dem Willen Gottes; der Wille also, der den Sünden, die geschehen, widerstrebt und sie verabscheut, sei es in sich selbst sei es im anderen, richtet sich nicht gegen den Willen Gottes. Die Strafen nun geschehen allerdings mit dem Willen Gottes. Jedoch wird nicht für die Geradheit des Willens erfordert, daß der Mensch dieselben, soweit sie an sich betrachtet werden, will, sondern insoweit sie der Ordnung der göttlichen Gerechtigkeit entsprechen.
