Zweiter Artikel. Das natürliche Übel ist Gegenstand der Furcht.
a) Die Furcht scheint Übel, die von der Natur allein herrühren, nicht zum Gegenstande zu haben. Denn: I. Aristoteles sagt (2 Rhet. 5.): „Die Furcht bedarf des Beratschlagens.“ Darüber aber, was von der Natur allein und ganz abhängt, wird nicht beratschlagt. II. Tod, Krankheit und ähnliche natürliche Mängel drohen dem Menschen stets. Also könnte er nie ohne Furcht sein. III. Die Natur setzt nicht nach zwei entgegengesetzten Seiten hin zugleich etwas in Bewegung. Das natürliche Übel aber kommt von der Natur. Also kann das Fliehen und somit der Abscheu vor demselben nicht von ihr kommen. Es giebt also keine Furcht vor natürlichem Übel. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (3 Ethic. 6.): „Von allem das Schreckvollste ist der Tod,“ der doch ein Übel der Natur ist.
b) Ich antworte, daß nach Aristoteles (2 Rhet. 5.) „die Furcht herkommt von der Vorstellung eines künftigen Übels, das da verdirbt und betrübt. Wie aber das Übel, welches betrübt, dem Begehren entgegengesetzt ist, so ist das Übel, welches etwas verdirbt, der Natur entgegengesetzt; und das nennt man ein natürliches Übel oder Übel der Natur.“ Also rücksichtlich desselben kann Furcht sein. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß dieses Übel bisweilen von einer in der Natur befindlichen Ursache herkommt; und dann wird es als „der Natur zugehöriges“, als „Übel der Natur“ bezeichnet; nicht nur weil es eines natürlichen Gutes beraubt, sondern auch, weil es eine Wirkung der Natur ist, wie der natürliche Tod u. dgl. Bisweilen aber kommt es nicht von der Natur, wie wenn der Tod gewaltsam jemandem gegeben wird. Und nach beiden Seiten erregt das „Übel der Natur“ Furcht gewissermaßen; und gewissermaßen erregt es keine Furcht. Denn da die Furcht die Vorstellung eines zukünftigen Übels ist, so entfernt das, was diese Vorstellung hinwegnimmt, auch die Furcht selber. Daß jedoch etwas die Vorstellung eines zukünftigen Übels nicht erweckt, kommt 1. daher, daß es sehr ferne ist, denn was sehr weit in der Ferne ist, das erachten wir als „nicht zukünftig“ und fürchten es deshalb nicht; — oder es kommt 2. daher, daß etwas, was in Wahrheit zukünftig ist, wie „nicht zukünftig“ betrachtet wird, weil es notwendigerweise einbricht; denn dann wird es wie etwas Gegenwärtiges angesehen; wie Aristoteles sagt (2 Rhet. 5.): „Die da bereits enthauptet werden, fürchten nicht; denn sie sehen, daß es notwendig ist zu sterben.“ Um in diesem Falle zu fürchten, muß eine gewisse Hoffnung des Heiles da sein. So also wird „das Übel der Natur“ bisweilen nicht gefürchtet, weil es nicht als zukünftig aufgefaßt wird. Wird jedoch dieses Übel, was verderblich ist, erfaßt als bevorstehend, jedoch so, daß eine Hoffnung besteht, es zu vermeiden, so wird da Furcht vorwalten.
c) I. Das „Übel der Natur“ kommt nicht immer von der Natur. Insoweit es aber von der Natur kommt, kann es doch wenigstens aufgeschoben, wenn auch nicht vermieden werden; und so kann nach dieser Seite Hoffnung sein, es zu vermeiden.
II. Das „Übel der Natur“ droht nicht immer in nächster Nähe. Deshalb sagt Aristoteles (2 Rhet. 5.): „Was sehr weit entfernt ist, wird nicht gefürchtet; denn alle wissen wohl, daß sie sterben müssen; weil dies aber nicht nahe ist, kümmern sie sich nicht darum.“ III. Der Tod und dergleichen kommt von der allgemeinen Gesamtnatur, insoweit sie unter dem leitenden ersten Urgründe steht. Dieser Gesamtnatur aber widerstrebt so viel sie kann die besondere einzelne Natur. Und so kommt von der Hinneigung der besonderen Natur Schmerz und Trauer über diese Übel, wenn sie gegenwärtig sind; Furcht, wenn sie drohen.
