Sechster Artikel. Wogegen kein Heilmittel ist, das wird mehr gefürchtet.
a) Dementgegen steht: I. Zur Furcht ist erforderlich, daß eine Hoffnung des Heiles zurückbleibe, wie oben gesagt worden. Bei Übeln aber, gegen welche kein Heilmittel ist, bleibt keine solche Hoffnung übrig. Also bleibt da auch keine Furcht. II. Für den Tod wächst kein Kraut. Jedoch wird der Tod nicht am meisten gefürchtet, wie Aristoteles sagt. (2 Rhet. 5.) III. Aristoteles (1 Ethic. 6.) sagt: „Das Gute ist deshalb nicht größer, weil es lange dauert, als ob es nur das Gut eines Tages wäre; und was beständig ist, das ist nicht besser, wie das, was dies nicht ist.“ Dasselbe gilt also auch vom Übel. Was aber kein Heilmittel zuläßt, das scheint vom anderen sich nur zu unterscheiden dadurch, daß es kürzere Zeit dauert. Also ist es deshalb nicht in höherem Grade zu fürchten. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2 Rhet. 5.): „Alles Furchtbare wird noch furchtbarer, insoweit es nicht geändert werden kann; oder insoweit kein Heilmittel und kein Beistand dagegen besteht.“
b) Ich antworte; was zur Vermehrung des Übels als des Gegenstandes der Furcht beiträgt, das vermehrt auch die Furcht. Das Übel aber wird durch die Umstände vermehrt, unter welchen die lange Dauer oder die Beständigkeit eine Hauptstelle einnimmt. Denn was innerhalb der Zeit ist, das hat gewissermaßen sein Maß in der Zeit. Wenn also etwas während einer bestimmten Zeit zu leiden vom Übel ist, so wird es als ein doppeltes Übel erfaßt, wenn die bestimmte Zeit eine doppelte ist. Leiden somit durch endlose Zeit, d. h. immer, hat den Charakter eines endlosen Übels. Übel aber, die, nachdem sie gekommen, kein Heilmittel oder doch nicht leicht eines haben, werden betrachtet als beständige oder langwierige; und so im höchsten Grade zu fürchtende.
c) I. Es giebt ein Heilmittel, welches ein Hindernis dafür ist, daß das betreffende Übel komme; und wird dieses entfernt, so wird auch die Hoffnungentfernt und demgemäß die Furcht. Wir aber sprechen nun von einem Heilmittel, wodurch das bereits gegenwärtige Übel entfernt wird; davon ist hier die Rede. II. Der Tod wird, obgleich das größte Übel, nicht so sehr gefürchtet, solange er nicht als nahe bevorstehend droht. III. Aristoteles spricht hier von dem, was seiner innersten Natur nach gut ist; das wird nicht besser in der Länge der Zeit.
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