Erster Artikel. Die Kühnheit ist entgegengesetzt der Furcht.
a) Dagegen sagt: I. Augustin (83 Qq. 31.): „Die Kühnheit ist ein Laster.“ Dem Laster aber steht entgegen die Tugend; was die Furcht nicht ist. II. Der Furcht ist entgegengesetzt die Hoffnung; also nicht die Kühnheit. III. Eine jede Leidenschaft schließt von der Seele aus die gegenteilige Leidenschaft. Durch die Furcht aber wird die Sicherheit ausgeschlossen; wie Augustin sagt (2. Conf. 6.): „Die Furcht baut der Sicherheit vor.“ Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2 Rhet. 5.): „Die Kühnheit steht entgegen der Furcht.“
b) Ich antworte, zur Natur des Gegensatzes gehört es, daß die beiden Glieder desselben so weit wie möglich voneinander entfernt sind, wie es 10 Metaph. heißt. Was aber am meisten entfernt ist von der Furcht, das ist die Kühnheit. Denn die Furcht flieht den drohenden Schaden, weil sie dessen endlichen Sieg fürchtet. Die Kühnheit aber geht vor gegen die drohende Gefahr um des Sieges willen über die Gefahr. Also offenbar ist zwischen Kühnheit und Furcht ein Gegensatz.
c) I. Zorn, Kühnheit und die Namen aller Leidenschaften können entweder aufgefaßt werden, insoweit sie schlechthin eine Bewegung im sinnlichen Begehren bezeichnen zum Guten oder zum Bösen hin; und so sind es Namen für Leidenschaften; — oder insoweit sie zugleich mit solcher Bewegung eine Entfernung von der Ordnung der Vernunft einschließen; und so sind es Namen für Laster. Nach der letzten Auffassung spricht Augustin, nach der ersten wir. II. Ein und demselben unter der nämlichen Beziehung und nach der gleichen Seite hin steht nur Eines entgegen; nach verschiedenen Beziehungen können auch der Gegensätze mehrere sein. So hieß es oben, daß die Leidenschaften in der Abwehrkraft einen doppelten Gegensatz haben; einen gemäß dem Gegensatze vom Guten und Bösen, und den anderen gemäß dem Näherkommen und dem Sich-Entfernen mit Rücksicht auf Ein und dasselbe. In der ersten Weise steht der Furcht die Hoffnung entgegen; in der zweiten der Furcht die Kühnheit, der Hoffnung die Verzweiflung. III. Die Sicherheit bezeichnet keinen Gegensatz zur Furcht, sondern nur den Ausschluß der Furcht. Denn wer nicht fürchtet, ist sicher. Also ist die Sicherheit der Furcht gegenüber da wie der Mangel; die Kühnheit wie der positive, konträre Gegensatz. Und wie dieser letzte Gegensatz den betreffenden Mangel in sich einschließt, so schließt die Kühnheit ein die Sicherheit.
