Zweiter Artikel. Der „Zustand“ bedeutet eine ganz bestimmte Gattung im Bereiche der Art „Eigenschaft“.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Der Zustand, soweit er eine Eigenschaft ist, wird bezeichnet als eine „Verfassung, gemäß welcher das betreffende Wesen gut oder schlecht eingerichtet ist.“ Das aber findet statt gemäß jeglicher Eigenschaft. Denn auch rücksichtlich der Figur trifft es sich, daß etwas gut oder schlecht eingerichtet ist, und ebenso rücksichtlich der Wärme und Kälte u. dgl, Also ist ein Zustand keine besondere Gattung in der Seinsart „Eigenschaft“. II. Aristoteles sagt zudem noch ausdrücklich (praedic. de qualit.), die Erwärmung oder die Verkältung seien Verfassungen im betreffenden Dinge oder Zustände; ebenso wie Krankheit und Gesundheit. „Wärme“ und „Kälte“ aber sind in der dritten Gattung der Seinsart „Eigenschaft“. Also der „Zustand“ unterscheidet sich insoweit nicht von den anderen Gattungen in der Seinsart „Eigenschaft“. III. „Schwer beweglich oder „schwer veränderlich“ ist kein Unterscheidungsmerkmal, das zur Seinsart „Eigenschaft“ gehört; sondern vielmehr fällt es in den Bereich der Bewegung oder des Leidens. Keine „Art“ im Sein aber wird zu einer besonderen Gattung hin bestimmt durch ein Unterscheidungsmerkmal, das einer anderen „Art“ im Sein angehört. Denn „das Unterscheidungsmerkmal, die Differenz, muß“ nach Aristoteles (7 Metaph.) „zur Art hinzutreten aus dem einen einigen Wesen der Art heraus und ihm eigens entsprechend.“ Da also der Zustand als eine „schwer veränderliche Eigenschaft“ bezeichnet wird, so scheint er keine bestimmte Gattung in der Seinsart „Eigenschaft“ zu sein. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles in den Prädikamenten (de qual.): „Eine besondere Gattung im Bereiche der Art: Eigenschaft, ist der Zustand und die innere Verfassung.“
b) Ich antworte; Aristoteles setzt als erste unter die Gattungen der „Eigenschaft“ den Zustand und die innere Verfassung (dispositio). Den Unterschied nun dieser Gattungen begründet Simplicius (comment. in Praedic.), indem er sagt; von den Eigenschaften seien einige mit der Natur des Dinges selber gegeben, weil sie von der Natur selbst aus innewohnen und demnach immer; — andere seien hinzutretend, die von außen her gewirkt werden und verloren werden können. Zu den letzteren gehören nun nach diesem Autor die Zustände und inneren Verfassungen, die sich voneinander unterscheiden, je nachdem sie leicht oder schwer verlierbar sind. Unter den natürlichen Eigenschaften aber sind die einen gemäß dem, daß das betreffende Wesen im Vermögen zu etwas sich findet, und diese bilden die zweite Gattung im Bereiche der Art „Eigenschaft“, die potentia; — die anderen sind gemäß dem, daß das betreffende Wesen thatsächlich Sein hat; und das kann sich finden entweder nach der Tiefe, nach innen hin, und so ist die dritte Gattung in der Art „Eigenschaft“, die Wärme und Kälte oder im allgemeinen die passio, die Leidenschaft; oder nach der Gestaltung der Oberfläche, nach außen hin, und so ist die äußere Form und Figur die vierte Gattung in der Art „Eigenschaft“. Diese Begründung des Unterschiedes aber erscheint nicht als hinreichend. Denn viele Figuren und innere Eigenschaften, nach denen das betreffende Wesen empfängt oder bestimmbar ist, sind nicht natürlich, sondern treten von außen hinzu; und umgekehrt sind viele innere Verfassungen in einem Dinge von Natur, und nicht hinzutretend; wie z. B. Gesundheit, Schönheit und Ähnliches. Deshalb also ist diese Ordnung in den diesbezüglichen Gattungen nicht zulässig. Es muß vielmehr der Unterschied zwischen den Zuständen und inneren Verfassungen einerseits und den anderen Eigenschaften andererseits auf einem anderen Wege gesucht werden. Die Eigenschaft nämlich im eigentlichen Sinne schließt eine eigene Existenzweise der entsprechenden Substanz ein. Eine solche Existenzweise aber besteht darin nach Augustin (4. sup. Gen. ad litt. 3.), „daß ein bestehendes begrenzendes Maß dieselbe vorher feststellt.“ Also schließt eine solche Existenzweise eine gewisse Bestimmung gemäß einem bestehenden Maße in sich ein. Wird sonach das Vermögen des Stoffes im allgemeinen, um etwas zu werden, nach einem bestehenden Maße bestimmt zum substantiellen Sein, daß also der Stoff überhaupt thatsächlich Sein habe; so folgt aus diesem Maße jene Eigenschaft, welche den allem Anderen im Dinge zu Grunde liegenden Wesensunterschied herstellt und somit die eine Substanz als solche von der anderen trennt; sie ist dasselbe wie die forma substantialis, die substantiale Wesensform. In ähnlicher Weise nun — und das geht im besonderen die vorliegende Frage an — wird das, wonach das Vermögen der bereits thatsächlich bestehenden Substanz als des Subjektes nach irgend einer besonderen Seite hin, accidentell, bestimmt wird als eine zur bestehenden Substanz noch hinzutretende Eigenschaft, als eine qualitas accidentalis, bezeichnet; und diese ist ebenfalls ein gewisser Unterschied, wie Aristoteles (5 Metaph.) sagt. Die Existenzweise oder Bestimmung des bereits bestehenden Subjektes aber nach einer besonderen Seite hin kann betrachtet werden entweder in seiner Beziehung zur Substanz oder Natur des Subjektes; — oder gemäß dem Thätigsein und Leiden, dem Geben und Empfangen, was den Principien der betreffenden Natur, also dem Stoffe und der Form, folgt; oder gemäß dem Umfange. Wenn nun gemäß dem Umfange die Existenzweise oder die Bestimmung des Subjektes beachtet wird, so ergiebt sich die vierte Gattung der Seinsart „Eigenschaft“. Und weil der Umfang oder die Quantität ihrer Natur nach kein Princip der Bewegung ist und weder den Charakter des Guten noch des Schlechten an sich hat, so gehört es dieser vierten Gattung in der Seinsart „Eigenschaft“, der Figur also, und der äußeren Form, nicht an, weder daß etwas gut oder schlecht eingerichtet, noch daß es leicht oder schwer veränderlich ist. Die Existenzweise aber oder die Bestimmung des bereits bestehenden Subjektes gemäß dem Thätigsein und dem Leiden oder dem Geben und Empfangen wird beachtet in der zweiten oder dritten Gattung der Seinsart „Eigenschaft“, in der potentia oder in der passio. Und deshalb wird in beiden berücksichtigt, daß etwas leicht oder schwer sich vollzieht oder daß etwas schnell vorübergeht oder andauert; nicht aber wird bei denselben berücksichtigt etwas zum Charakter des Guten oder Bösen Gehöriges, weil solche ihrer Natur nach vorübergehende Bewegungen und Leidenschaften nicht die Natur des Zweckes haben. „Schlecht“ und „gut“ jedoch wird ausgesagt mit Rücksicht auf den Zweck. Die Existenzweise und die Bestimmung des vorliegenden Subjektes nun in ihrer Beziehung zur Natur oder dem inneren Wesen der Sache gehört der ersten Gattung in der Seinsart „Eigenschaft“ an; und diese erste Gattung ist der Zustand oder die innere Verfassung. Dazu bemerkt Aristoteles (7 Physic.): „Die Zustände der Seele oder des Leibes sind gewisse Verfassungen im betreffenden Subjekte, welche, insoweit sie thatsächlich da sind, dieses Subjekt vervollkommnen, und insoweit sie auf einen Zweck gerichtet sind, das Beste des Subjektes verfolgen; ich sage aber, sie vervollkommnen das Subjekt, insoweit sie thatsächlich bestehen, weil sie der natürlichen Einrichtung dieses selben Subjektes entsprechen.“ Und weil nach 2 Physic. „die innerliche bestimmende Wesensform und die Natur überhaupt eines Dinges den Charakter des Zweckes hat und ihrethalben sich vollzieht das, was im Dinge thatsächlich geschieht, so wird in dieser ersten Gattung auch das „gut“ und „schlecht“ berücksichtigt und ebenso das „leicht und schwer Veränderliche“, insoweit nämlich immer die Entstehung oder Vollendung einer Natur Zweck für die Zeugung und die Bewegung ist. Deshalb bestimmt Aristoteles (5 Metaph.) den Zustand als „eine Verfassung, gemäß welcher jemand gut oder schlecht gestimmt ist;“ und 2 Ethic. 4. sagt er: „Man bezeichnet das als Zustand, wonach wir uns zu den Leidenschaften gut oder schlecht verhalten. Ist nämlich diese Verhaltungsweise entsprechend der Natur des betreffenden Wesens, dann besteht der Charakter des Guten; ist sie nicht entsprechend, dann besteht der Charakter des Schlechten.“ Und weil die Natur in jedem Dinge bei der Betrachtung desselben an erster Stelle steht, so wird auch der Zustand als die erste Gattung in der Seinsart „Eigenschaft“ bezeichnet.
c) I. „Verfassung“ oder „Einrichtung“ schließt eine gewisse Ordnung in sich ein, wie Art. 1. ad III. gesagt worden. Also wird von jemandem nur gesagt, er sei auf Grund einer Eigenschaft in gewisser Verfassung, wenn die Beziehung oder das Verhältnis zu etwas in Betracht kommt, also eine gewisse Ordnung erwogen wird. Und wenn hinzugefügt wird, er sei in guter oder schlechter Verfassung, so kann dies nur auf Grund des Verhältnisses oder der Beziehung zur inneren Natur selber gesagt werden, welche den Zweck dessen, was im betreffenden Dinge geschieht, vorstellt. Also nur insoweit die Figur oder das Warm- und Kaltsein Beziehung hat zur Natur des Dinges, kann von einer guten oder schlechten Verfassung die Rede sein, gemäß dem nämlich daß sie dieser Natur entspricht oder nicht. Die Figuren also auch und überhaupt die Eigenschaften, nach welchen das Thätigsein und Empfangen, das Bestimmen und Bestimmbarsein sich regelt, gehören zu den Zuständen oder inneren Verfassungen und Einrichtungen unter dem Gesichtspunkte, daß sie der Richtschnur der inneren Natur entsprechen oder nicht. Denn die Figur und die Farbe als entsprechend der Natur gehört zur Schönheit; die Wärme und Kälte aber unter demselben Gesichtspunkte zur Gesundheit. Und danach nur wird Erwärmung und Verkältung von Aristoteles zur ersten Gattung der Seinsart „Eigenschaft“ gerechnet. II. Ist damit beantwortet. III. Dieses Unterscheidungsmerkmal „schwer veränderlich“ begründet nicht den Unterschied des „Zustandes“ von den anderen Gattungen der Art „Eigenschaft“, sondern von der „Verfassung“ oder „Einrichtung“, von der bloßen dispositio. „Verfassung“ wird nun in doppelter Weise genommen: einmal, als etwas Allgemeineres wie der eigentliche Zustand; und danach wird sie in der Weise der „Art“ in die Begriffsbestimmung des Zustandes gesetzt (5 Metaph.); — dann, insoweit sie dem eigentlichen Zustande gegenübergestellt wird und zwar 1. wie das Unvollkommene dem Vollkommenen, sofern der Zustand die allgemeinere Bezeichnung „Verfassung“, dispositio, behält, so lange er noch in unvollkommener Weise innewohnt und demnach leicht verloren werden kann, und erst dann im eigentlichen Sinne „Zustand“ genannt wird, wenn er vollkommen innewohnt, so daß aus der „Verfassung“ oder.„Stimmung“ ein Zustand wird wie aus dem Knaben ein Mann. Es wird 2. der „Zustand“ von der „Verfassung“ unterschieden, wie zwei Unterabteilungen ein und derselben Gattung voneinander, so daß von „Verfassung“ gesprochen wird, wenn es einer Eigenschaft der ersten Gattung ihrem inneren Wesen nach zukommt, leicht verlierbar zu sein, weil ihre Ursachen leicht sich ändern; wie z. B. Krankheit und Gesundheit; — es wird aber in dem Falle von „Zustand“ gesprochen, wenn es sich um Eigenschaften handelt, welchen es ihrem inneren Wesen nach zukommt, nicht leicht verlierbar zu sein, weil die sie hervorrufenden Ursachen unveränderlich sind; wie z. B. es Wissenschaft und Tugend ist; — und danach wird eine einfache „Verfassung“ oder Stimmung nicht zum Zustande. Dieses Letztere nun scheint mehr der Meinung des Aristoteles zu entsprechen. Und deshalb führt er, um seine Unterscheidung zu begründen, die gebräuchliche Redeweise an, wonach Eigenschaften, welche ihrem inneren Wesen nach, also per se, „leicht veränderlich“ sind, in dem Falle als „Zustände“ bezeichnet werden, wann sie infolge eines äußeren Umstandes, also ex aliquo accidenti, als „schwer veränderlich“ sich herausstellen; und umgekehrt verhält es sich mit jenen Eigenschaften, welche ihrem inneren Wesen nach „schwer veränderlich“ sind. Denn wenn jemand nur unvollkommenes Wissen hat, so daß er es leicht verlieren kann, so wird von ihm vielmehr gesagt, er habe eine gewisse innere „Verfassung“, eine dispositio, die dem Wissen günstig ist, als daß er wirklich Wissenschaft habe. Daraus geht hervor, daß der Ausdruck „Zustand“ eine lange Dauer einschließt; was beim Ausdrucke „Verfassung“ oder „Stimmung“ nicht der Fall ist. Und daß somit hier bei dieser Unterscheidung von „Zustand“ und „Verfassung“ (dispositio) das „leicht“ oder „schwer veränderlich“ den Unterschied begründet, somit das „schwer veränderlich“ den eigentlichen Zustand charakterisiert, dem steht durchaus nicht entgegen, daß derartige Unterscheidungsgründe eigentlich in das Bereich des Bewegens und Bewegtwerdens, des Thätigsein und Leiden fallen. Denn solche Unterscheidungsgründe scheinen zwar an und für sich ihrer Natur nach nur einen äußerlichen Zusammenhang zu haben mit der Eigenschaft und nicht aus deren Wesen hervorzugehen; sie sind jedoch das nach außen hin hervortretende Zeichen der den Eigenschaften eigenen und deren inneren Wesen entsprechenden Unterschiede. So werden ja auch in der Seinsart der Substanz häufig solche Unterscheidungsgründe für die Substanzen genommen, welche an sich nebensächlich und äußerlich sind, anstatt jener, welche aus der betreffenden Substanz selber sich ergeben; — insofern nämlich durch dieselben auf die wesentlichen substantiellen Principien hingedeutet wird und so letztere zum äußeren Ausdrucke gelangen.
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