Zweiter Artikel. Die Zustände werden unterschieden gemäß den Gegenständen.
a) Dem steht entgegen: I. Die zwei Glieder eines Gegensatzes unterscheiden sich der Gattung nach. Ein und derselbe Zustand aber richtet sich auf Gegenstände, die einander entgegengesetzt sind; wie die Heilkunde auf das Kranke und Gesunde. Nicht also gemäß den Gegenständen, die voneinander der Gattung nach sich unterscheiden, werden die Zustände unterschieden. II. Voneinander unterschiedene Wissenschaften sind eben so viele unter einander verschiedene Zustände. Ein und derselbe Wissensgegenstand aber gehört zu verschiedenen Wissenschaften; wie z. B. dieser Satz: die Erde ist rund, vom Astronomen bewiesen wird und von der Naturwissenschaft nach 2 Phys. Also der Unterschied in den Zuständen richtet sich nicht nach den Gegenständen. III. Ein und dieselbe Thätigkeit ist auf ein und denselben Gegenstand gerichtet. Ein und dieselbe Thätigkeit kann aber verschiedenen Zuständen von Tugenden angehören, je nachdem sie auf verschiedene Zweckrichtungen bezogen wird; wie z. B. daß ich Geld jemandem gebe um Gottes willen, zur Liebe gehört; gebe ich es aber, um eine Schuld zu bezahlen, so gehört dies zur Tugend der Gerechtigkeit. Also kann auch ein und derselbe Gegenstand verschiedenen Zuständen zugehören. Die Verschiedenheit der Zustände sonach richtet sich nicht nach der Verschiedenheit der Gegenstände. Auf der anderen Seite unterscheiden sich die Thätigkeiten der Gattung nach gemäß der Verschiedenheit der Gegenstände, wie Kap. I, Art. 3. und Kap. 18, Art. 2. gesagt worden. Die Zustände aber sind nichts Anderes als Verfassungen oder Vorbereitungen zu den Thätigkeiten hin. Also auch die Zustände werden unterschieden gemäß den Gegenständen.
b) Ich antworte, ein Zustand sei sowohl eine bestimmende und bethätigende Form als auch im eigentlichen Sinne „Zustand“. Es kann also der Unterschied zwischen den Zuständen der Gattung nach bestimmt werden entweder im allgemeinen gemäß der Weise, wie man überhaupt der Gattung nach bestimmende Formen unterscheidet, oder im besonderen gemäß der Weise, wie man Zustände voneinander unterscheidet. Bestimmende Formen nämlich werden voneinander unterschieden gemäß den verschiedenen wirksam thätigen Principien, weil jedes wirkende Princip etwas sich selbst Ähnliches Hervorbringt der Gattung nach. Der Zustand aber bedingt eine Beziehung oder ein Verhältnis zu etwas. Da nun Alles, was gemäß dem Verhältnisse zu etwas ausgesagt wird, unterschieden wird gemäß der Unterscheidung in dem, woraufhin es ausgesagt wird, und der Zustand entweder auf die Natur oder auf die der Natur folgende Thätigkeit sich richtet, so wird zwischen den Zuständen nach drei Gesichtspunkten unterschieden: 1. gemäß den wirksam thätigen Principien, von denen solche Zustände oder Verfassungen ausgehen; 2. gemäß der Natur; 3. gemäß den der Gattung nach verschiedenen Gegenständen; wie noch weiter im folgenden erklärt werden wird.
c) I. Bei der Unterscheidung zwischen Vermögen und Zuständen ist der Gegenstand nicht in seinem materialen Bestande zu beachten; sondern vielmehr der maßgebende Grund im Gegenstande, der den Gattungsunterschied oder auch den Unterschied in der „Art“ herstellt. Wenn nun auch die zwei Glieder eines Gegensatzes der Gattung nach unterschieden sind, soweit die Verschiedenheit in den materialen Gegenständen, wie z. B. die von schwarz und weiß, insofern sie außen besteht, in Betracht kommt, so besteht doch ein und derselbe maßgebende Grund, nach welchem beide Glieder des Gegensatzes erkannt werden; denn das eine wird vermittelst des anderen erkannt. Inwiefern sie also übereinkommen in diesem einen maßgebenden Grunde für das Erkennen, wie im gebotenen Beispiele dies die Farbe ist, gehören sie zu einem einzigen Erkenntniszustande. II. Der vermittelnde maßgebende Beweisgrund für den aufgestellten Satz ist beim Astronomen ein anderer wie beim Naturkundigen. Der erstere beweist die runde Form der Erde vermittelst mathematischer Beweise, wie z. B. durch die Figur der Ellypse und Ähnliches. Der Naturkundige beweist es durch Gründe, wie sie der in den Dingen befindlichen Natur entsprechen, wie durch die Bewegung der Körper zum Mittelpunkte hin vermittelst der Schwere und Ähnlichem. Die ganze Kraft eines Beweises hängt aber ab vom Beweismittel; wie 1. Post. es heißt: „Der Syllogismus bewirkt, daß man etwas weiß.“ Solche verschiedene Beweismittel oder Gründe sind also eben so viele verschiedene wirksam thätige Principien, gemäß denen die Zustände sich unterscheiden. III. „Wie sich die Denkprincipien oder Beweisgründe verhalten in den Beweisen, so verhält sich der Zweck in den Thätigkeiten,“ heißt es 7 Ethic. 8. Die Verschiedenheit in den Zweckrichtungen also verursacht den Unterschied in den Tugenden. Zudem ist der Zweck selber Gegenstand der innerlichen Thätigkeit und so gehört er in maßgebendster Weise zur Herstellung von Tugenden, wie Kap. 19, Art. 1. und 2. gesagt worden.
