Vierter Artikel. Mehrere Zustände bilden nicht einen einzigen.
a) Folgende Gründe sprechen dagegen: I. Was nach und nach erzeugt wird, scheint aus mehreren Teilen zu bestehen. Ein Zustand wird aber nicht auf einmal gezeugt, sondern nach und nach aus mehreren Akten. Also entsteht da ein Zustand aus mehreren. II. Das Ganze besteht aus Teilen. Viele Teile aber werden einem einigen Zustande zugeschrieben (Cicero 2. de invent. ante, fin.); wie man der Stärke, der Mäßigkeit u. s. w. viele Teile zuweist. Also mehrere Zustände machen einen ganzen. III. Eine Wissenschaft kann thatsächlich und dem Zustande nach auf eine einzige Schlußfolgerung gehen. Damit aber eine Wissenschaft vollständig sei, müssen viele Schlußfolgerungen gewußt werden, wie bei der Geometrie und Arithmetik. Also mehrere Zustände bilden einen. Auf der anderen Seite ist als Eigenschaft der Zustand eine einfache Form, die da niemals aus Teilen bestehen kann.
b) Ich antworte, der auf die Thätigkeit gerichtete Zustand, wovon jetzt hauptsächlich die Rede ist, sei eine Vollendung des Vermögens. Jegliche Vollendung aber steht im Verhältnisse zu dem zu Vollendenden. Wie also das Vermögen, obgleich immer ein einiges bleibend, sich auf Vieles erstreckt, weil dieses Viele gemeinsam hat den maßgebenden Grund des Gegenstandes für das Vermögen, wie z. B. viele Dinge in der Farbe übereinkommen und so Gegenstand des Auges sind, so erstreckt sich der Zustand auf viele Dinge, je nachdem sie übereinkommen in einem einzigen besonderen maßgebenden Grunde; sei es in der einen Natur oder in dem einen Princip wie Art. 2. gesagt worden. Weil also diese Vielheit, auf welche ein Zustand sich erstreckt, Beziehung hat zu etwas Einem, worauf an erster Stelle der Zustand gehl, so ist dieser immer in sich eine einfache Form und nicht aus mehreren zusammengesetzt; denn er hat diese Einheit und Einfachheit von dem Einen, was der Vielheit gemeinsam ist.
c) I. Nicht ein Teil des Zustandes wird nach dem anderen erzeugt, sondern es ist ein „Nach und Nach“ im Entstehen des Zustandes, weil das betreffende Subjekt nicht gleich die zuverlässige schwer verrückbare Verfassung erhält. Und so fängt er an, zuerst in unvollkommener Weise dem Subjekte innezuwohnen und allmählich wird das Subjekt geeigneter und vollendeter. II. Jene Teile der Kardinaltugenden setzen nicht die betreffende Tugend zusammen, wie Teile das Ganze; sondern sie bedeuten, auf wie Vieles das Vermögen der Tugend sich erstreckt. (Kap. 57, Art. 6. ad IV.) III. Wer nur eine Schlußfolgerung in einer Wissenschaft hat, der besitzt wohl den entsprechenden Zustand, aber in unvollkommener Weise. Und nach und nach, je mehr er kennen lernt, desto vollkommener wird die Art und Weise, wie die in sich eine Wissenschaft ihm innewohnt; denn der eine Beweis und die eine Schlußfolgerung ergiebt sich aus der anderen; es ist da Ordnung.
