Dritter Artikel. Die menschliche Tugend ist ein guter Zustand.
a) Dagegen wird: I. Die Sünde immer als etwas Schlechtes genommen. Auch der Sünde aber wohnt eine gewisse Tugend oder Tüchtigkeit inne, wie Paulus sagt (1. Kor. 15.): „Virtus peccati Iex, die Tüchtigkeit der Sünde ist das Gesetz.“ Also. II. Die Tugend entspricht dem Vermögen. Das Vermögen aber ist auf das Gute und Böse gerichtet; wie Isai. 5. gesagt wird: „Ihr, die ihr mächtig seid im Weintrinken und stark in der Trunkenheit.“ Also auch die Tugend kann schlecht sein. III. Nach Paulus (2. Kor. 12.) „wird die Tugend vollendet in der Schwäche.“ Die Schwäche aber ist ein Übel. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de morib. Eccl. 6.): „Niemand wird zweifeln, daß die Tugend die Seele zu einer im höchsten Grade guten machen wird.“ Und Aristoteles (2 Ethic. 6.): „Die Tugend macht gut den, der sie hat; und macht tauglich sein Werk.“
b) Ich antworte, die Tugend schließe die Vollendung des Vermögens ein. Deshalb „bestimmt“ nach 1. de Coelo „die Tugend in einem jeden Wesen zu dem, was an äußerster Stelle das Vermögen kann.“ Was aber an äußerster Stelle oder was als das Letzte ein Vermögen kann, muß etwas Gutes sein; denn jedes Übel schließt einen Mangel, ein Fehlen und somit nicht ein Letztes in sich ein, weshalb Dionysius (4. de div. nom.) jedes Übel als ohnmächtig bezeichnet. Also muß jede Tugend in jedem Dinge immer auf das Gute gerichtet sein; und somit kann die menschliche Tugend als thätig wirksamer Zustand nur auf das Gute sich richten.
c) I. Wie das „Vollkommene“, so wird auch oft die „Tugend“ figürlich vom Schlechten ausgesagt. So spricht man von einem „vollendeten“ Räuber und von einem „guten“ Diebe, sagt Aristoteles. (5 Metaph.) Und so spricht Paulus von der „virtus“ peccati; da durch das Gesetz es veranlaßt wurde, daß die Sünde vermehrt, mehr hervorgetreten und zu ihrem höchsten Können gelangt ist. II. Das Übel der „Trunkenheit“ besteht im Mangel an der Ordnung der Vernunft. Damit aber besteht, daß ein niedrigeres Vermögen vollendet ist in seiner Art. Doch eine solche Vollendung als vernunftlos kann nicht schlechthin Tugend genannt werden. III. Desto vollkommener ist die Vernunft, je mehr sie die Schwächen des Körpers oder des sinnlichen Teiles mehr überwinden oder besser tragen kann. Also in der Schwäche (nicht aber der Vernunft, sondern) des Körpers oder des sinnlichen Teiles wird vollendet die menschliche Tugend, welche der Vernunft zugeschrieben wird.
