Erster Artikel. Manche sündigen aus Bosheit.
a) Keiner sündigt aus Bosheit oder aus Berechnung. Denn: I. „Jeder Sünder ist in Unkenntnis,“ nach 3 Ethic. 1. Die Unkenntnis aber steht entgegen der Bosheit oder der kalten vollen Berechnung. II. Dionysius (4. de div. nom.) sagt: „Keiner sündigt, indem er auf das Übel als den Zweck blickt.“ Das heißt aber gerade aus Bosheit oder Vorbedacht sündigen. III. Die Bosheit selber ist Sünde. Ist sie also Ursache der Sünde, so geht es in's Endlose. Auf der anderen Seite heißt es bei Job 34.: „Wie mit Vorbedacht und Berechnung entfernten sie sich von Gott und wollten dessen Wege nicht verstehen.“
b) Ich antworte, von Natur begehre der Mensch nach dem Guten. Daß er also nach dem Übel verlangt, kommt von dem Verkehrtsein eines der Principien, von welchen die menschliche Thätigkeit ausgeht. Solche Principien sind die Vernunft, der Wille und das sinnliche Begehren. Also geschieht die Sünde entweder infolge eines Mangels in der Vernunft oder im sinnlichen Begehren oder im Willen. Die Ungeregeltheit nun des Willens besteht darin, daß er das geringere Gut mehr liebt. Daraus folgt, daß jemand auswählt lieber einen Schaden zu leiden rücksichtlich des Gutes, das er minder liebt, damit er keinen Schaden leide rücksichtlich des Gutes, das er mehr liebt; wie z. B. der Mensch das Abtrennen eines Gliedes duldet auch mit Vorbedacht, als daß er sein Leben einbüßt, das er mehr liebt. In dieser Weise also, wenn ein ungeregelter Wille zeitliches Gut mehr liebt, z. B. Vergnügen oder Reichtum, wie die Ordnung der Vernunft oder des göttlichen Gesetzes oder die heilige Liebe Gottes, folgt, daß er Schaden leiden will in einem geistigen Gute, damit er nicht Schaden leide in einem zeitlichen. Das Übel aber ist nichts Anderes wie Mangel am Guten. Danach also will jemand mit Vorbedacht ein geistiges Übel, was ein Übel schlechthin ist, damit er eines zeitlichen Gutes genieße. Und das heißt mit Berechnung oder Vorbedacht oder aus Bosheit sündigen.
c) I. Die Unkenntnis schließt manchmal aus, daß jemand weiß, das, was vorliegt, sei ein Übel; und dann geht die Sünde von der Unkenntnis aus. Bisweilen aber schließt sie aus, daß jemand weiß, dies sei jetzt, unter diesen Umständen, ein Übel; und dann geht die Sünde von der Leidenschaft aus. Bisweilen schließt sie aus, daß jemand weiß, dieses Übel sei nicht zu ertragen, um ein bestimmtes Gut zu erreichen; dabei weiß er aber, daß es schlechthin ein Übel sei; — und so sündigt man aus Bosheit. II. Man kann nicht ein Übel an sich beabsichtigen. Jedoch kann der Wille ein Übel als Übel wollen,um ein anderes Übel zu vermeiden oder um ein Gut zu erreichen. Und indiesem Falle möchte jemand das Gute erreichen, ohne den Schaden an einem anderen Gute zu erleiden; wie ein Unkeuscher sich ergötzen möchte, ohne Gott zu beleidigen. Wird aber eines von beiden als notwendig zu wählen vorgestellt, so will er lieber Gott beleidigen als seines Ergötzens verlustig gehen. III. Die Bosheit kann als Zustand aufgefaßt werden,sowie ein guter Zustand Tugend genannt wird; und sonach sündigt jemand aus Bosheit, weil er infolge der Hinneigung des Zustandes in ihm sündigt. Man kann jedoch auch die thatsächliche Bosheit darunter verstehen, sei es daß jemand sündigt, weil er frei das Böse wählt, sei es daß jemand infolge einer vorhergegangenen Schuld sündigt, die dann Bosheit heißt, wie wenn jemand die Gnade im Nächsten bekämpft aus Neid. Und dann ist dasselbe nicht Ursache von sich selber, denn der innere Akt ist Ursache des äußeren; oder eine Sünde verursacht die andere, nicht freilich ins Endlose, denn immer kommt man zu etwas Erstem, was nicht verursacht worden von einer früheren Sünde.
