Zweiter Artikel. Wer infolge eines innerlichen Zustandes sündigt, der sündigt aus Bosheit.
a) Das Gegenteil wird bewiesen. Denn: I. Die Sünde aus Bosheit ist die schwerste. Bisweilen aber leitet der Zustand im Innern zu einer leichten Sünde an; wie zu einem unnützen Worte. Also nicht jede Sünde,die aus dem Zustande im Innern folgt, ist eine Sünde aus Bosheit. II. „Die Akte, welche aus einem Zustande hervorgehen, sind ähnlich jenen, die den Zustand oder die Gewohnheit erzeugen,“ heißt es 2. Ethic. 1. et 2. Die letzteren aber gehen nicht aus Bosheit hervor; also auch nicht die ersteren. III. Wer aus Bosheit sündigt, freut sich nachher über das Begangene nach Prov. 2.: „Die da sich freuen in ihren schlechten Thaten und desto mehr frohlocken je schlimmer das ist, was sie gethan.“ Und dies kommt daher, weil es jedem ergötzlich ist, seine Absicht erreicht zu haben. Wer aber infolge einer Gewohnheit sündigt trauert, nachdem die Sünde geschehen: „Die Schlechten,“ d. h. die eine schlechte Gewohnheit haben, „sind voll von Reue;“ sagt Aristoteles 9 Ethic. 4. Auf der anderen Seite geht die Sünde aus vorbedächtiger Bosheit hervor, insoweit sie verursacht wird durch die freie Wahl des Bösen. Für einen jeden aber ist dies Gegenstand der Wahl, wozu er hingeneigt wird durch einen ihm eigenen Zustand oder durch eine Gewohnheit. Also was vom Zustande ausgeht, geht von Bosheit aus.
b) Ich antworte, es sei nicht dasselbe, daß jemand einen Zustand besitze und daß er auf Grund oder infolge desselben sündige. Denn den Zustand oder die Gewohnheit gebrauchen, das unterliegt ebenfalls dem Willen dessen, der den Zustand hat. Wer also einen schlechten Zustand hat, kann trotzdem einen tugendhaften Akt vollziehen; denn die Vernunft wird nicht ganz und gar verderbt durch den schlechten Zustand, sondern es bleibt ein Teil davon zum freien Gebrauche übrig, so daß auch der Sünder manchmal Gutes thut. Es kann auch vorkommen, daß jemand, der einen schlechten Zustand hat, zuweilen nicht auf Grund desselben wirkt, sondern auf Grund einer Leidenschaft, die ersteht, oder aus Unkenntnis. Gebraucht aber jemand frei den in ihm bestehenden schlechten Zustand, so ist es notwendig, daß er aus vorbedachter Bosheit sündigt. Denn es ist für ihn an und für sich Gegenstand der freien Wahl das, was dem betreffenden Zustande entspricht, da dies ihm gleichsam natürlich wird; insofern der Zustand und die Gewohnheit eine zweite Natur ist. Was aber jemandem zukömmlich erscheint nach einem in ihm bestehenden schlechten Zustande, das ist es, wodurch das geistige Gut ausgeschlossen wird. Und so folgt, daß jemand das geistige Übel als solches wählt, damit er das dem Zustande entsprechende Gut erreiche; was dasselbe ist als mit vorbedachter Bosheit sündigen. „Infolge eines Zustandes“ sündigen also und „aus Bosheit sündigen“ ist das Nämliche.
c) I. Die läßlichen Sünden schließen das geistige Gut nicht aus und sind deshalb kein Übel schlechthin und ohne weiteres. Deshalb sind auch die ihnen entsprechenden Zustände keine schlechten Zustände ohne weiteres, sondern nur unter Voraussetzung. II. Der Gattung nach sind die den Zustand erzeugenden und die von ihm ausgehenden Akte ähnlich; sie unterscheiden sich aber voneinander wie das Vollkommene vom Unvollkommenen. Und so ist auch der Unterschied zwischen den Sünden der Bosheit und denen der Leidenschaft. III. Wer auf Grund eines Zustandes sündigt, freut sich immer darüber daß er das thut, was dem Zustande entspricht, so lange er denselben gebraucht. Weil er aber den Zustand auch nicht gebrauchen kann, sondern mit der Vernunft an Anderes denken, so kann es geschehen, daß er, wenn er des Zustandes sich nicht für das Thätigsein bedient, trauert über das, was er vermittelst des Zustandes begangen hat. Und so trauern derartige Personen über die Sünde; meistenteils nicht weil die Sünde an sich mißfällt, sondern weil aus der Sünde ein Nachteil ihnen erstanden ist.
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