Dritter Artikel. Im Stande der Unschuld konnte der Mensch keine läßlichen Sünden begehen.
a) Dies scheint möglich gewesen zu sein. Denn: I. Zu Tim. 2. (Adam non est seductus) sagt Augustin (14. de civ. Dei 10.): „Da er noch nicht die göttliche Strenge aus Erfahrung kannte, vermochte Adam darin getäuscht zu werden, daß er meinte, es handle sich um eine läßliche Sünde.“ Dies hätte er aber nicht gemeint, wenn er nicht hätte läßlich sündigen können. II. Augustin schreibt (11. sup. Geu. ad litt. 5.): „Man darf nicht glauben, der Versucher hätte den ersten Menschen niedergeworfen, wenn nicht in der Seele des Menschen eine gewisse Erhebung des Stolzes vorhergegangen wäre.“ Letztere aber konnte nur eine läßliche Sünde sein. Und l. c. cap. ult.: „Den Mann peinigte eine gewisse Neugierde, ebenfalls die Erfahrung zu machen, da er sah, das Weib, welches von der verbotenen Frucht gegessen, sei nicht gestorben.“ Auch in Eva scheint eine Regung des Unglaubens bestanden zu haben, ehe sie aß; denn sie sprach: „Damit wir nicht etwa — forte — sterben,“ was auf einen Zweifel in ihr hin deutet. Dies Alles aber können nur läßliche Sünden gewesen sein, ehe die Todsünde sich vollzog. III. Die Todsünde steht in höherem Grade entgegen der Unschuld des Urzustandes wie die läßliche. Die Todsünde aber war möglich; — also auch die läßliche. Auf der anderen Seite wird jeder Sünde eine Strafe geschuldet. Es konnte aber keine Trübsal im Urzustände bestehen, nach Augustin 14. de civ. Dei 10. Also konnte auch keine Sünde da stattfinden, wodurch der Mensch nicht zuerst aus jenem Unschuldszustande entfernt würde. Da nun die läßliche Sünde den Zustand des Menschen nicht ändert, so konnte Adam da nicht läßlicherweise sündigen.
b) Ich antworte, man nehme gemeinhin an, im Stande der Ur-Unschuld hätte der Mensch nicht läßlicherweise sündigen können. Das muß man aber nicht dahin verstehen, als ob das, was für uns läßliche Sünde ist, für ihn, weil er eine so hohe persönliche Würde besaß, Todsünde gewesen wäre. Denn die Würde der Person ist wohl ein die Sünde beschwerender Umstand, führt dieselbe aber nicht in eine andere Wesensgattung über; es müßte denn hinzukommen etwa die Mißgestalt des Ungehorsams oder der Untreue gegenüber einem Gelübde oder Ähnliches, wovon hier nicht die Rede sein kann. Also was jetzt läßliche Sünde ist, das konnte nicht dort einfach wegen der Würde jener Unschuld Todsünde sein. Vielmehr muß man dies so verstehen, daß der Mensch im Urzustände nicht sündigen konnte läßlicherweise, weil es nicht sein konnte, daß er eine Sünde beginge, die an sich läßlich gewesen wäre, bevor er die Ur-Unschuld verlor durch die Todsünde. Der Grund davon ist, daß die läßliche Sünde in uns vorkommt entweder wegen Mangel der Vollendung in der Thätigkeit selber, wie dies bei den plötzlich aufstehenden Regungen der Fall ist; oder wegen Regellosigkeit mit Rücksicht auf das Zweckdienliche, d. i. auf die Einhaltung der rechten Ordnung in dem, was zum Zwecke hinleitet. Beides aber geschieht deshalb, weil das Niedrigere in uns nicht fest zusammengehalten wird unter dem Höheren. Daß nämlich in der Sinnlichkeit eine Regung plötzlich aufsteht, kommt daher daß die Sinnlichkeit nicht durchaus der Vernunft unterworfen ist. Und daß in der Vernunft selbst eine plötzliche Regung sich geltend macht, dies kommt daher, daß die thatsächliche Bethätigung der Vernunft nicht immer der Überlegung unterworfen erscheint, die von einem höheren Gute und dessen Erfordernisse auszugehen hat. Daß aber der menschliche Geist einer gewissen Regellosigkeit unterliegt in dem, was zum Zwecke führt, das kommt daher daß das Zweckdienliche nicht mit unfehlbarer Sicherheit auf den Zweck hingeordnet erscheint, der im Bereiche des Begehr- und Erstrebbaren die höchste Stelle als Princip einnimmt. Im Stande der Unschuld nun war eine feste Ordnung, wonach das Niedrigere dem Höheren unterworfen war, so lange das Höchste im Menschen Gott gehorchte. Eine Unordnung also konnte da nicht stattfinden, bevor nicht das Höchste im Menschen sich von Gott losriß; was geschieht durch die Todsünde. Bevor der Mensch also im Urzustände nicht schwer sündigte, konnte er keine läßliche Sünde begehen.
c) 1. „Läßlich“ nimmt da Augustin nicht in unserem Sinne; sondern wörtlich, nämlich daß Gott leicht die Sünde nachlassen würde. II. Jene Erhebung des Stolzes im Menschen war die erste Todsünde; sie ging vorher dem Herabstürzen desselben in den äußeren Akt der Sünde. Dieser inneren Erhebung ist gefolgt die Neugierde im Manne, der Zweifel im Weibe, die allein deshalb zu der Erhebung des Stolzes sich verleiten ließ, weil sie vor der Schlange zeigen wollte, es sei gewissermaßen nicht ihr Wille, unter einem Gebote zu leben. III. Die Todsünde ist in der Weise dem Unschuldsstande entgegengesetzt, daß sie denselben verdirbt, was die läßliche Sünde nicht vermag. Da also irgend welche Unordnung sich nicht vertrug mit dem Urzustände, so mußte zuerst eine Todsünde diesen Zustand aufheben, ehe die läßliche Sünde möglich wurde.
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