Fünfter Artikel. Die ersten Regungen der Sinnlichkeit in den Ungläubigen sind keine Todsünden.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Paulus sagt Röm. 8.: „Nichts von Verdammnis ist in denen, die da sind in Christo Jesu, die nicht wandeln nach dem Fleische;“ und er spricht hier von der sinnlichen Begierlichkeit. Weil sie also in Christo Jesu sind, deshalb ist in denen, die nicht nach dem Fleische wandeln und somit dem sinnlichen Begehren nicht zustimmen, das Begehren selbst, also die ersten Regungen der Sinnlichkeit, nichts der ewigen Verdammnis Wertes. Die Ungläubigen aber sind nicht in Christo Jesu. Also sind diese Regungen in ihnen Todsünden. II. Anselm sagt (de gratia et lib. arb.): „Die da nicht in Christo sind und das Fleisch fühlen, wenn sie auch nicht gemäß dem Fleische wandeln, sind der Verdammnis geweiht.“ Also sind sie infolge der ersten Regungen der Sinnlichkeit im Stande der Todsünde. III. Anselm I. c. sagt noch weiter: „So ist der Mensch gemacht, daß er die sinnliche Begierlichkeit nicht fühlen mußte.“ Diese Schuld aber scheint dem Menschen nachgelassen durch die Taufe, welche die Ungläubigen nicht haben. Wann also der Ungläubige begehrt, obgleich er nicht zustimmt sündigt er schwer; denn er thut das, was er nicht thun sollte. Auf der anderen Seite „sieht Gott nicht die Personen an“ Act. 10. Was Er also dem einen nicht als schwere Schuld anrechnet, das rechnet Er auch nicht dem anderen als solche an. Die ersten Regungen der Sinnlichkeit in den Gläubigen rechnet Er aber nicht als Schuld an; folglich geschieht dies auch nicht gegenüber den Ungläubigen.
b) Ich antworte; was da behauptet worden, wird ganz unvernünftigerweise behauptet. Und das leuchtet aus zwei Gründen ein: 1) Die reine Sinnlichkeit an sich betrachtet kann gar nicht Sitz einer schweren Sünde sein nach Kap. 74, Art. 4. Nun ist die nämliche Natur der Sinnlichkeit in den Ungläubigen wie in den Gläubigen. Also kann die bloße Bewegung oder Regung der Sinnlichkeit bei den Ungläubigen keine Todsünde sein. 2) Die Würde der Person, die sündigt, vermehrt vielmehr die Schuld, weit entfernt, sie zu mindern. Die Sünde im Gläubigen also, dessen persönliche Würde in Christo überaus groß ist, muß vielmehr eben deshalb eher größer sein wie geringer als im Ungläubigen. Denn die Sünden der Ungläubigen verdienen weit eher Nachlaß auf Grund der Unkenntnis, nach I. Tim. 1.: „Die Barmherzigkeit Gottes habe ich erlangt; denn in Unwissenheit that ich es in meinem Unglauben.“ Dagegen sind die Sünden der Gläubigen schwerer auf Grund der gnadenreichen Sakramente nach Hebr. 10.: „Um wie viel mehr meint ihr, daß schrecklichere Strafen verdient…, der das Blut des Testamentes, in welchem er geheiligt worden, für beschmutzt hält.“
c) I. Der Apostel spricht von der Verdammnis, welche der Erbschuld gebührt, die durch die Gnade Christi hinweggenommen wird, mag auch der Stachel des Fleisches bleiben. Daß also die Gläubigen die Regungen der Begierlichkeit wahrnehmen, ist in ihnen kein Zeichen der Verdammnis auf Grund der Erbsünde wie bei den Ungläubigen. II. Ebenfalls damit beantwortet. III. Jene Verpflichtung, nicht zu begehren, bestand kraft der Urgerechtigkeit. Was also dieser Verpflichtung entgegensteht, das gehört nicht zur persönlichen, sondern zur Erbsünde.
