Zweiter Artikel. Man muß nicht immer das menschliche Gesetz andern, wenn etwas Besseres sich darbietet.
a) Dem widerspricht: I. Die menschlichen Gesetze sind durch die menschliche Vernunft erfunden wie auch die Künste. In diesen aber wird geändert, wenn etwas Besseres sich bietet. Also muß das auch bei den Gesetzen statthaben. II. Aus der Vergangenheit muß man lernen für die Zukunft. Wenn aber in der Vergangenheit die menschlichen Gesetze nicht verändert worden wären, da sich etwas Besseres bot, so würden viele Unzulässigkeiten gefolgt sein. Also. III. Die menschlichen Gesetze berücksichtigen die menschliche Thätigkeit. Da diese aber immer unter besonderen Verhältnissen im einzelnen stattfindet, können wir rücksichtlich derselben vollendete Kenntnis nur erlangen durch Erfahrung, welche der Zeit bedarf. Also im Verlaufe der Zeit kann etwas Besseres sich finden und danach muß das Gesetz immer geändert werden. Auf der anderen Seite heißt es in den decreta dist. 12, cap. 5.: „Lächerlich und eine hinlänglich abscheuliche Schande ist es, daß wir ruhig zusehen, wie die Überlieferungen von unseren Vätern her jetzt gebrochen werden.“
b) Ich antworte, die rechte Änderung in den menschlichen Gesetzen hänge vom Maßstabe des allgemeinen Besten ab. Eine solche Änderung aber hat bereits an sich betrachtet einen Nachteil für das Gemeinbeste, da zur Beobachtung der Gesetze sehr viel beiträgt die Gewohnheit; denn was gegen die eingeführte Gewohnheit geschieht, erscheint schon deshalb als schwerer. Wenn also das Gesetz geändert wird, vermindert sich die antreibende Gewalt des Gesetzes, insoweit die Gewohnheit fortfällt. Also darf das Gesetz nur in dem Falle geändert werden, wenn einerseits das Gemeinbeste so viel Vorteil erfährt durch die Änderung, wie es andererseits Nachteil erleidet durch das Fortfallen der Gewohnheit. Es muß sonach feststehen, daß aus einer neu einzuführenden Satzung ein ganz augenscheinlicher Vorteil und Nutzen ersteht; entweder weil die höchste Not so es erfordert oder weil das frühere ein offenbares Unrecht enthält oder weil dessen Beobachtung im höchsten Grade schädlich ist bei den veränderten Zeitverhültnissen. Deshalb sagt Ulpian (1. tit. 4. constitut. princ.): „Will man neue Gesetze machen, so muß ein augenscheinlicher Nutzen vorliegen, damit wir abweichen vom Rechte, was lange Zeit als billig galt.“
c) I. Was zur Kunst gehört, hat seinen Einfluß nur von der Vernunft. Die Gesetze aber erlangen viel Einfluß durch die Gewohnheit. (2 Polit. 6.) II. Allerdings können die Gesetze geändert werden; aber nicht leichthin. III. Ebenso.
