Zweiter Artikel. Die Ceremonialvorschriften sind figürlich.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Ein jeder Lehrer muß so sich aussprechen, daß er leicht verstanden wird; nach Augustin. (4. de doctr. chr. 4.) Das aber ist im höchsten Grade notwendig bei einer Gesetzgebung; „das Gesetz muß offenbar sein,“ sagt Isidor. (5 Etymol. 21.) Moses hat aber in nichts angedeutet, worin diese Vorschriften figürlich seien. Also hätte er unzukömmlicherweise diese Vorschriften gegeben; nämlich ohne deren Grund auseinanderzusetzen. II. Was zum göttlichen Kulte dient, muß im höchsten Grade anständig sein. Etwas thun aber, damit etwas Anderes vorgestellt werde, scheint dem Theater und der Dichtkunst zuzugehören, also nicht so sehr dem ernsten Anstande zu entsprechen. Denn ehemals wurden in den Theatern durch das, was da geschah, vorgestellt oder nachgeahmt die Art und Weise zu handeln anderer Personen. III. „Gott wird am meisten verehrt durch Glaube, Hoffnung und Liebe,“ sagt Augustin. (Enchir. 3.) Die Gebote aber, welche sich auf diese drei Tugenden beziehen, sind nicht figürliche. Also dürfen Ceremonialvorschriften keine figürlichen sein. IV. Joh. 4. heißt es: „Gott ist ein Geist und die Ihn anbeten, sollen Ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.“ Die Figur ist aber keine Wahrheit. Auf der anderen Seite sagt der Apostel (Kol. 2.): „Niemand soll über euch urteilen auf Grund von Speise, von Trank, oder eines Festtages sei es auch nur der Teil eines solchen, oder des Neumondes oder der Sabbathe; was Alles Schatten sind der Zukunft.“
b) Ich antworte, die Ceremonialvorschriften gehören zum Kulte Gottes. Der Kult Gottes aber ist ein innerlicher und ein äußerlicher. Denn da der Mensch aus Leib und Seele zusammengesetzt ist, muß Beides zugewandt werden dem Kulte Gottes; daß nämlich die Seele innerlich Gott verehre, der Körper äußerlich; wonach Ps. 83. es heißt: „Mein Herz und mein Fleisch haben aufgejubelt zum lebendigen Gott hin.“ Und wie der Körper zu Gott in Beziehung tritt vermittelst der Seele, so hat der äußere Kult Beziehung zum inneren und erblickt in diesem seine Richtschnur und seinen Zweck. Der innere Kult aber besteht darin, daß die Seele mit Gott verbunden werde vermittelst der Vernunft und der Hinneigung. Je nachdem also in verschiedener Weise die Vernunft und die Hinneigung dessen, der Gott verehrt, mit Gott verbunden wird, werden in verschiedener Weise die äußerlichen Akte des Menschen dem Kulte Gottes zugewandt. Denn im Stande der ewigen Seligkeit wird die menschliche Vernunft die göttliche Wahrheit an sich anschauen; und deshalb wird der äußere Kult da nicht bestehen in einer Figur, sondern im Lobe Gottes, das hervorgeht aus der innerlichen Kenntnis und Hinneigung, nach Isai. 51.: „Freude und Jubel wird da gefunden werden, Danksagung und Lobgesang.“ Im Stande des gegenwärtigen Lebens können wir aber nicht die göttliche Wahrheit in sich selber schauen, sondern „der Strahl der göttlichen Wahrheit soll uns leuchten unter einzelnen sinnlich wahrnehmbaren Figuren,“ wie Dionysius sagt (1. de coel. hier.); — jedoch in verschiedener Weise gemäß dem verschiedenen Stande der menschlichen Kenntnis. Im Alten Gesetze nämlich war weder die göttliche Wahrheit in sich offenbar noch war der Weg gebahnt, um zu deren Kenntnis zu gelangen; wie Paulus sagt Hebr. 9. Und deshalb mußte der äußere Kult des Alten Gesetzes nicht nur Figur sein für die zukünftige Offenbarung der Wahrheit im ewigen Heim, sondern auch die Figur Christi, der da ist der Weg, welcher zu jener Wahrheit des ewigen Heim führt. Im Stande des Neuen Bundes aber ist dieser Weg bereits gebahnt und offenbar. Ihn also braucht man nicht mehr zu versinnbilden, sondern man muß seiner gedenken als eines vergangenen oder gegenwärtigen. Bloß noch die künftige Wahrheit der Herrlichkeit muß vorgesinnbildet werden; denn sie ist noch nicht offenbar. Und das besagen die Worte des Apostels (Hebr. 10.): „Einen Schatten hat das Gesetz von den zukünftigen Gütern, nicht das wahre Bild der Dinge.“ Denn „Schatten“ ist minder als ein „Bild“; dieses gehört zum Neuen Bunde, der Schatten zum Alten Gesetze.
c) I. Das Göttliche muß der Fassungskraft der Menschen gemäß verliehen werden; sonst würde vor diesen ein Abgrund sich öffnen, da sie verachten würden, was sie nicht fassen könnten. Deshalb war es besser, daß unter der Hülle sinnlicher Figuren dem rohen Volke die göttlichen Geheimnisse gelehrt wurden, damit sie so wenigstens vermittelst der Figuren sie erkannten, da sie diesen Figuren dienten zur Ehre Gottes. II. Wie Dichterisches von der menschlichen Vernunft nicht erfaßt wird wegen Mangels an Wahrheit darin, so kann die menschliche Vernunft nicht vollkommen Göttliches erfassen wegen der überfließenden Wahrheit darin. Also auf beiden Seiten sind sinnliche Figuren notwendig. III. Augustin spricht da vom inneren Kulte, dem jedoch entsprechen und auf den hinbezogen werden muß der äußere. IV. Durch Christum sind die Menschen zu vollkommenerer geistiger, Gottesverehrung angeleitet worden.
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